"Der Zint". 1966

„Der Zint“. 1966

Günter Zint, genannt „der Zint“, wurde in Fulda geboren, wo die Bischöfe nicht nur Kanonen segnen, sondern auch das Böse suchen in jedem Bett.

Der Zint war immer Pressefotograf. Ich habe ihn in München kennengelernt, wo er für Illustrierte arbeitete. Er hatte immer ein Auto, was ihn damals ziemlich wertvoll machte. Ich durfte sogar in einem Fiat-Toppolino schlafen, als ich, wieder einmal, kein Zimmer hatte.

Der Zint hatte immer viele Frauen, einfach weil er sie ganz dringend wollte. Eine Abgelegte hat er mir überlassen.

Er wollte schon früh Millionär werden. Aber immer, wenn er kurz davor war, kam ihm sein unpraktisches Gerechtigkeitsgefühl in die Quere. Er rempelte dann die Autoritäten an: Polizei, Justiz, Chefs, Schläger, Wohnungs-Eigentümer, Bank-Konto-Negativ-Saldo.

Diese Kämpfe kosteten ihn viel Zeit und Lust. Er löste die Konflikte, indem er einfach irgendwas anderes machte.

Als ich wieder einmal völlig neben der Welt war, nichts gelernt, keine Wohnung, Studium gescheitert, da holte er mich nach Hamburg, damit ich auch eine Chance bekam, Millionär zu werden. Ich habe viel gelernt von ihm über die Regeln in der Alkohol-Welt. Du musst dich selber loben, sonst tut das keiner. Du musst dabei maßlos übertreiben, weil alle sowieso die Hälfte abziehen. Um zu überzeugen, musst du das alles selber glauben, was du sagst. Wenigstens für eine halbe Stunde.

Eine Möglichkeit, schnell Millionär zu werden, war die Gründung eines Foto-Ladens, den er PAN-FOTO nannte. Er fotografierte Schauspieler, Taschendiebe und dicke Frauen, eben alles, was in deutsche Illustrierten passte.

Nebenher baute er sich eine Heimat auf, die hieß St.Pauli. Dort leben Menschen, die ihre eigenen Regeln haben, egal welcher Kanzler gerade regiert. Wie es in St-Pauli-Bibel steht: Wenn dir einer auf die linke Backe haut, hau ihm eine auf die rechte Backe. Das ist Gerechtigkeit.

Das war genau das Richtige für den Zint, der immer normal werden wollte, aber niemand ließ ihn. Aber in St. Pauli war er normal. Er konnte durch 5 Kneipen gehen auf der Reeperbahn und niemand kloppte ihn zusammen. Das heißt: es war seine Heimat.

Ich habe immer sein Gespür bewundert. Als ich noch bei Nietzsche rumhing und der Welt-Revolution, wusste er schon, dass die Beatles gewinnen würden oder wie der Papst es ausdrückt:  du sollst keine anderen Götter haben neben mir, außer den Beatles.

Die Mädchen kreischten und hatten gläubige Gesichter, wie sonst nur ein Kardinal, wenn nachts die Jungfrau Maria ins Bett kommt als Erscheinung.

Und man sah richtig, wie die Beatles-Songs den Mädchen unter die Röcke gingen.

Ich stand, als bürgerlicher Intellektuellen-Krüppel, ziemlich ratlos vor diesen Gefühlen. Ich konnte das nicht einordnen ins Abendland.

Da ging es mir wie den Typen vom Adenauer-Staat, die ganz entsetzt waren. Dafür ist Hitler ja nicht bis Stalingrad marschiert, dass jetzt die „Neger“-Musik kommt. Die holten ihre Gesetze aus der Hose und ließen die Polizei knüppeln gegen die Linken. Bei den Beatles ging das nicht. Sie waren Alliierte, die ja die ganze Woche über unsere Freunde waren.

Der Zint musste nicht so kompliziert denken: So viele Mädchen können sich nicht irren, hat er gesagt und er steigt ein als Fotograf, macht Bilder von diesem neuen Glauben.

Von Musik hat er, glaub ich, nicht viel verstanden, aber das haben die Beatles am Anfang auch nicht. Sie kannten nur drei Akkorde, doch sie hatten das richtige Lebens-Gefühl, global, individuell, jung. Damit mischten sie den Adenauer-Staat auf.

So langsam fing ich an zu verstehen: arme Schlucker aus dem Slum, nichts gelernt, wollten Millionäre werden. Sie haben in 10 Jahren 140 Millionen Platten verkauft.

Zint wusste das schon immer.

Nach den Beatles kamen noch viele andere Beatles, die alle jeden Monat anders hießen.

Der Zint fuhr zum Beat-Club, wo sie auch „Neger“-Musik machten und ich stand am Rande der Bühne und wunderte mich. Da stehen vier abgerissen Typen ohne Musik-Studium-Abschluss-Zeugnis auf ein paar Holz-Paletten und schrammeln die 5 Töne, die sie beherrschen und schon ist die Bild-Zeitung voll. Dafür muss man normalerweise schon einen CDU-Politiker entführen.

Und langsam verstand ich: es war Revolution, proletarische Revolution. die Typen aus dem Slum machten Kultur-Revolution. Damit konnte man den Adenauerstaat kippen. Ich schrieb einen philosophischen Aufsatz ins Tagebuch: die proletarische Revolution. Ich muss immer alles schriftlich sehen, um es zu verstehen.

Der Zint benutzte solche Wörter nicht. Er verließ sich auf das, was in seinem Bauch vibrierte, wenn er sah, wie die Mädchen abfuhren, besser als mit Alkohol oder Shit.

Dagegen halfen auch keine Polizei-Knüppel.

Ich war sehr zufrieden. Zur Beat-Musik kann man nicht marschieren im Gleichschritt. Das war für mich die Hauptsache.

Er fuhr dann auch nach England, traf irgendwie Manfred Mann, ging in die alten Beatles-Kneipen. Wir waren spät dran.

Der Beatles-Beat war 1966 schon tot, aber es kam was noch Besseres: der Sex.

Gegen den war Dutschke gar nichts, auch nicht die Ritterkreuz-Träger. Das verstanden sogar die deutschen Hausfrauen.

Als ich wieder in Berlin war, gab es dort eine Kneipe, die hieß „Der Schotte“, ein typisch-linker Stall, dreckig und dunkel, aber über der Theke waren Schwarz-Weiß-Fernseher, auf denen liefen, ohne Ton, Porno-Filme. Da konnten die deutschen Hausfrauen die nackten Tatsachen vergleichen. Ihr Mann, der vor kurzem noch bestimmen durfte, ob seine Frau arbeiten gehen darf oder nicht, dieser Kurz-Haar-Deutsche war in der Defensive.

Da war nichts mehr von Blitzkrieg im Bett.

In meiner Wohnung in der Kreuzberger Prinzenstraße war ein Mädchen Stammgast, Rosi. Sie brachte immer den Freund mit, der eine richtige Ausbildung hatte. Und eines Tages hat sie gesagt: ich habe mir gestern einen Mann gemietet. Man konnte das über die Untergrund-Zeitung 883. Sie sagte:  es war nichts Besonderes, aber er musste machen, was ich wollte…. Ihr Freund musste dafür sein, weil er progressiv war.

Das alles war später. Ich brauche immer ein wenig länger, um zu verstehen. Zint hatte das schon 1966 verstanden, ganz ohne Worte.

Das war der heimliche Motor von PAN-FOTO.

 

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