Eine europäische Biografie

1966: Die Beat-Welt

Paul Glaser mit Gitarren. Foto: Günter Zint

Zint ist, wie immer, ein Irrwisch. Er hat mehr Ideen pro Tag als er in einem Jahr umsetzen kann. Er will eben unbedingt berühmt werden. Gestern hat es nicht geklappt, aber er gibt dem Ruhm noch drei Wochen Zeit, sonst, wer weiß, was er sonst macht, aber es wird schrecklich sein.

Aber Zint hat auch Gespür.

Da gibt es diese neue Musik von jungen Leuten mit den langen Haaren, „Negermusik“, sa­gen die deutschen Wert-Konservativen. Das sind die jungen Leute, die gerade solange Musik stu­dieren, bis sie die Gitarre richtig rum halten können und dann schrammeln sie los mit drei Akkorden, aber volle Lautstärke.

Und die kleinen Mädchen kreischen sich die Gummi-Bänder aus den Höschen und flippen aus bei den Konzerten und rufen: Ich will ein Kind von dir! Und die Polizei muss Verstärkung holen, um sie zurückzuhalten.

„So viele junge Mädchen können nicht irren“, meint der Zint. „Da steigen wir ein.“

In den USA gibt es schon die ersten Beat-Millionäre, hat er gelesen und die Beatles hört man bis Vietnam, wo die jungen amerikanischen Soldaten den Gegner mit halb-gerauch­ten Joints bewerfen und dann die augenblickliche amerikanische National-Hymne singen: Born to be wild!

Diese Beat-Musik fängt langsam an, mich zu begeistern. Sie hat den Vorteil, das nach ihr  niemand im Gleichschritt bis Stalingrad marschieren kann und deswegen bin ich voll dafür.

Und auch in Deutschland hat man schon den ersten Langhaarigen in Oberammergau ge­sehen. Dabei haben sie in Bayern noch voll-berufliche Teufels-Austreiber, fest angestellt bei der Kirche und mit vollem Termin-Kalender, so viele Teufel gibt es in Bayern.

Es wird also Zeit, dass man kirchliche Spezialisten ausbildet, um die jungen Mädchen zu retten, die vom Beat besessen sind und die partout keine Angst mehr haben vor dem Fegefeuer, das Geschäfts-Modell der Exorzisten.

Und die Politiker mit den feuerfesten Unterhosen, sehen das Abendland bedroht durch den Beat, aber sie können nicht dagegen sein, weil er ja von unseren amerikanischen Verbündeten kommt.

Zint fährt in die Lüneburger Heide, um John Lennon zu fotografieren. Lennon dreht dort einen Anti-Kriegs­film „How I won the War“ und die Fotos laufen gut bei uns. Ich verhandele über Exklu­siv-Rechte jeden Tag und Zint überlegt, ob er sich die Haare lang wachsen lassen soll, da­mit er mehr Interviews kriegt mit den Beatles. „Das würde schon interessant aussehen“ sage ich, „hinten bis zur Schulter Haare und oben gar keine“.

Aber am besten laufen die Fotos von den kleinen Mädchen. Auf jedem Foto kann man die Phon-Zahl sehen, mit der sie kreischen und die Augen sind so gläubig wie bei der Jungfrau Maria als der Schwangerschafts-Test positiv war.

Natürlich warnen die Zeitungen, die Priester war­nen, die Politiker sprechen eine ernste Warnung aus, das CDU-Grundsatz-Programm warnt vor dem Niedergang des Abendlandes und die Hirtenbriefe sorgen sich um die Wahlstimmen: die SPD ist der Niedergang des Abendlandes sagt die biblische Werbe-Agentur und die Mütter sagen ihren jungen Töchtern: Lass we­nigsten den BH an beim Konzert.

Beat-Club

Natürlich haben unsere Kultur-Beamten ein Gespür für weltweite neue Bewegungen und der kleine TV-Sender in Bremen macht den Beat-Club. Am Sonnabend wird er live über­tragen, eine Musik-Sendung nur für junge Leute, wie in England. Das hat es noch nie gegeben seit Bismarck dem Cherusker! Und das vor der Sportschau! Diese Neger-Musik!

Wir wollen uns das anschauen und fahren nach Bremen zur Live-Sendung.

Wir gehen in einen Lagerschuppen, der aussieht wie eine Tiefgarage an der steht: Studio.

Die Decke hängt voller Scheinwerfer und an einer Wand ist ein Podium aufgebaut, einige Zentimeter hoch. Das wird die Bühne sein, aber erstmal wird geübt ohne Musiker, lange geübt, nur mit Publikum. Spontane Sendungen müssen ja sorgfältig vorbereitet werden.

Auf dem Podium steht ein Beleuchter, der ist jetzt die Pop-Band und der Regisseur übt mit Jugendli­chen, die er von einem Konfirmanden-Unterricht gepumpt hat. Die braven Bremer Jungs, Kurzhaarschnitt, zwei linke Beine, geübt im Extase-Foxtrott, tanzen nun Beat. Zwei Mädchen im Elvis-Stil tanzen vor und wir proben nun alle die Exstase! Wenn er ruft: Los!  wirft die deutsche Jugend die Hände in die Luft und zappelt, alle verschieden, weil das zum Individualismus gehört. Sie kreischen wie sie es gesehen haben bei der Beatles-Auftritten und der Regisseur sagt: Noch einmal. Diese Kurzhaarige links neben dem lang­haarigen Pickel-Träger, die hatte ein völlig uninteressiertes Gesicht bei der Exstase. Das muss anders werden!

Und sie proben alles noch mal und wenn der Mann die Hand hoch stößt, kreischen alle laut, denn es soll ja eine Live-Sendung werden.

Dann geht es los. Ein paar Road-Manager stellen Lautsprecher-Boxen auf das Podium, dazu Mikrofone und rufen: ein, zwei, drei. PROBE! Und sie brauchen etwas Zeit, um herauszufinden, warum die Box so schnarrt: Also Los! Ein, zwei, drei, PROBE! Sehr gut.

Das ist was Neues in Deutschland. Kein Playback, bei dem die Patte abgespielt wird, zu der die Musiker den Mund auf und zu machen und alle schiefen Töne zensiert werden. . Hier ist alles hand-gemacht. Die Jungs von den Bands sehen aus wie die Jungs auf der Straße und sie stellen sich vor die Mikros und einer sagt: one, two, three und wenn sie Glück haben, fangen alle gleichzeitig an zu spielen, wenn nich ist es auch nicht so chlimm.

Un die zweite Gitarre hakt irgendwie. Na, wo ist dieser verdammte Ton, gestern hatte ich ihn noch, Ahhh! Das ist nicht der Richtige, aber auch sehr gut.

Aber sie zeigen den examinierten Musikern was man alles machen kann ohne es zu können. Und schon bei den ersten Töne haben sie das Publikum, sogar die Beleuchter hören zu. Lekkebusch, der Macher, steht im Hintergrund. Es läuft. Morgen wird die Bild-Zeitung voll sein mit Genöhle über diese Musik. Gut so! Wir brauchen Öffentlichkeit. Je mieser die BILD, desto besser die Stimmung!

Und die Jugendlichen tanzen, nach einer Weile, trotz der vielen Proben auf einmal Beat. Und die Mädchen haben diesen verschwommenen Blick, ganz ohne Drogen. Hej, ihr Alten! Da kommt was auf euch zu, die Jugend geht auf die Barrikaden, diesmal welche aus Musik und langen Haaren. Ahnt ihr was!

Die 40-jährigen Durchschnitts-Omas sitzen zu Hause vor den Fernsehern in der Schleif­lack-Truhe und sind richtig entrüstet über ihre Enkel, die da wie wild zucken. Was die bloss finden an dieser Neger-Musik! Gut so! Fürchtet euch!

In Leserbriefen an den Beat-Club bitten die jungen Leute, ihre Namen nicht zu nennen. Es gibt zu viel Ärger in der Schule und zu Hause. Haste gesehen, der hört diese Neger-Musik! Und die Väter verbieten den Töchtern jedes Gefühl, das über das Mütter-Verdienst-Kreuz hinausgeht.

Und überall im Adenauer-Land sitzen sie am Sonnabend vor den Fernsehern, kurz vor der Sportschau und Vater sagt: ich bin tolerant und „Plopp“ macht er ein Bier auf, während sich die Tochter fast in die Hose macht, so begeistert ist sie. Das ist ihre Musik, das sind ihre Leute!

Im Nu ist der „Beat-Club“ Kult bei den Jungen. Die Alten haben nicht mehr viel zu bieten und die Jungen haben ne Menge Geld, das zählt im Kapitalismus. Sie leisten sich zum ersten Mal eigene Musiker, eigene Kneipen, Mode, eigene Kultur, eigene Plattenspieler. Sie hören AFN und Radio Luxemburg. Die kann man nicht mal verbieten als Feindsender.

Dank an England, Dank an die USA, dieses verdammte Vietnam-Kriegs-Land mit ihrer tollen Jugend.

Und wenn die Polizei meldet, dass bei der Demo die Chaoten den Auto-Verkehr behindert haben, diese langhaarige Affen, Radikalinskis. Dann wissen die kleinen Mädchen: wir haben alles richtig gemacht!

Und die Spontis rufen: Ich geh ka­putt, gehst du mit? Und viele gehen mit.

Dann ärgert sich der momentane Kanzler. Der ist von der CDU und war mal Nazi und der Präsident war auch mal Nazi und sie finden es nicht gut, wenn die Jugend yeah, yeah, yeah ruft.

Hamburg

Zint ist mitten drin in dieser neuen Musik.

Nach dem Beat-Club nimmt er Dave, Dee, und einige seiner Jungs mit in seinem großen BMW nach Hamburg. Der kaputte Motor braucht 2 Liter Öl auf 100 Kilometer, den Wagen kann er sich gar nicht leisten, aber das tut er mit Begeisterung. Den Beat-Musikern gefällt das. Es sind Arbeiter-Kinder und je grösser das Auto, desto schöner die Welt.

Und sie lernen auch Deutsche kennen, von denen sie ja nur wissen, dass alle mit einem Messer zwischen den Zähnen rum laufen und immer Heil-Hitler rufen, wenn sie nicht gerade London bombardieren.

Zint zeigt ihnen die Reeperbahn und wo die Beatles angefangen haben. Sie staunen, weil die Nutten dort Englisch können und auch Franzö­sisch gegen Aufpreis. Und „drinking-up-time“ gibt es nicht, keine Sperrstunde. Wenn das die Queen wüsste!

So lernen wir Manfred Mann kennen und Spencer Davis und bekommen langsam ein Ge­spür für das Neue, das da entsteht und es macht so viel Spass, dass Zint manchmal stun­denlang vergisst, dass er Millionär werden will und einfach gute Fotos macht.

England

Zint arbeitet für eine Jugendzeitung, die der Bravo Konkurrenz machen will und er be­quatscht die Leute von der Spesen-Kasse. Wir dürfen nach England fahren, um diese neue Be­wegung in Fotos umzusetzen, die von der Zeitung in D-Mark umgesetzt werden können.

Wir gehen in die Musikschuppen, den Marquee-Club zum Beispiel, eine dreckiges dunkles Lokal, ganz vorn in der Szene. Über überall Beat mit fast nackten Mädchen. Das ist die neue Explosions-Mischung für die Nach-Panzer-Gesellschaft: Beat und Sex.

Wir fahren mit Manfred Mann im Mini im nördlichen London herum, besuchen seine Fami­lie, stink-bürgerliches Haus.

Noch erstaunlicher sind die englischen Hausfrauen, Wickelschürze und um die 40, zwei Männer-Hüften und sie wiegen die Brüste und singen: „Hej, Jude“ auf der Strasse, vor ihrem Reihenhaus. Manfreds Mann’s Familie mittendrin.

Das ist der Unterschied zu Deutschland: In England reicht die Beat-Musik schon bis in die Wechseljahre.

Wir machen ein Interview mit Manfred Mann, später in Deutschland. Er wundert sich ein wenig, was er alles gesagt hat, aber nicht schlecht, sagt er, nicht schlecht.  Mehr dazu.

Schotten

In Yorkshire lebt die Familie von Zints damaliger Freundin, die noch nicht seine erste Frau ist und nach einigen Scheidungen auch die Dritte wird. Dort erleben wir das ironische Arbeiter-England.

Wir fahren also in den englischen Kohlenpott, endlose Hütten, alle schwarz dreckig im Weltreich-Slum-Stil. Weil jahrzehnte-lang nicht getan wurde ist die Tradition ziemlich stark.

Die traurigen Arbeiter-Klasse-Reihen-Häuser werden nur unterbrochen durch wundervol­le Abraumhalden, an denen die Briten 100 Jahre gearbeitet haben.

Aber Arbeiterkneipen gibt es in Menge. In den Pubs sind die rauen Typen, die einen be­schissenen deutschen Nazi lieber haben als einen britischen Besatzer von der Oxford-Uni­versität. Kohlenpott-Mentalität.

Wir stehen im Pub und sie sagen: „Ah, aus Deutschland kommt ihr, da habt ihr die Engländer ganz schön gebombt im letzten Krieg!“  Und ich sage: „Wenn du nicht n Stout ausgibst, kommen wir nochmal“, sage ich und sie geben ein Stout aus. „Haben Humor, diese Deutschen“, Und nach den ersten fünf Stouts wird der Humor immer besser.

Die Leute in Yorkshire sind direkt wie im deutschen Kohlenpott und herzlich wie ein Koh­len-Schredder auf 600 Meter Tiefe. Wir bringen das deutsch-englische Verhältnis in Ordnung, das dauert noch mal ein paar Stouts und als wir so richtig bei der Völkerverständigung sind, ist schon „Closing-Up“-Time. Das ist ein Begriff aus der anglikanischen Bibel und heißt: „Gleich gibt es nichts mehr zu trinken!“ Es wird meist übersetzt mit: „Sauft schnel­ler, Genossen!“

Als der Wirt das verkündet, bestellen wir alle noch einen Vorrat. Die reichen bis Kneipen-Schluss.

Die Arbeiter kennen die Beatles: Its a hard days night, das kennen sie, das sind schon Volkslieder. Es sind ihre harten Tage, die dort besungen werden, es sind ihre Jungs, die da singen, working class, ye know?

Zint und ich sind elektrisiert. Da tut sich was in der Gesellschaft, da kommt was Neues.

Als wir zurück sind in Hamburg haben wir eine andere Sicht. Und wir sehen andere Dinge, haben andere Vibrations. Im Tagebuch notiere ich: Beat-Musik ist proletarisch. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen zu schreiben: Dutschke ist pro­letarisch.

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1 Kommentar

  1. Günter Zint

    Hallo Paul
    Dein Gedächtis ist besser als meins – aber durch Deine Schilderungen kommt einiges in meinen Kopf zurück. Du beobachtest mit einem Gehirn, das genauer aufzeichnet als Deine beste Kamera. Ich stöbere jetzt schon einige Stunden in Deinen Aufzeichnungen. Je mehr ich lese, umsomehr erkennt auch mein Gehirn wieder.

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