Viva Maria und die Studentenbewegung

In Berlin droht die Revolution, denken die Studenten, vielleicht schon übermorgen, denken sie. Aber nur, wenn man viele Demos macht, den Kudamm rauf und den Kudamm runter – und der Glaser immer mit.

Die Scheibe klirrt, der Sponti kichert. Hoffentlich Allianz versichert!

Die verschiedenen Dutschkes wollen, dass die Arbeiterklasse den Fernseher ausmacht. Sie rufen:  „Komm herunter, reih dich ein!“ Allerding haben die Studenten die Arbeiter nicht gefragt.  Aber sie nennen es „Revolution“, laufen durch die Straßen, ru­fen „wir wollen eine bessere Welt“ und bekommen Prügel, wie es sich für Revolutionäre aus Dahlem gehört. Ich ahne, dass diese Jungs, die nicht unter 5 Nebensätzen reden, eine sozialistische Blähung sind. Aber ich blicke nicht mehr durch. Ich habe Zweifel, denn die Arbeiter, die ich kenne, sind alle rechts und würden eher nach Stalingrad marschieren als nach Dahlem.

Da kommt Rettung von der Kultur, um mir die Orientierung zu erleichtern. Ich sehe den Film „Viva Maria“ von Louis Malle, eine Satire auf die Revoluti­on. Sie spielt in Süd-Amerika, im Audi-Max der FU und am Kranzler-Eck auf dem Kudamm und in einigen der 500 Kneipen, die ich noch abarbeiten muss.

Zunächst zeigt der Film die Erziehung von Revolutionären. Ein kleines Mädchen, das später, in einer neuen Einstellung, Brigitte Bardot ist, rollt ein Woll-Knäuel durch den Park, wie Kinder eben so spielen, bis hin zu den englischen Soldaten, die das Volk unterdrücken. Dann läuft das Mädchen zurück zu Papi, der nun die Soldaten mit dem Knäuel, das eine Guerilla-Bombe ist, in die Luft sprengt, worauf das Kind ein Eis bekommt.

Und so wächst die Bardot heran, sprengt hier mal was und dort und beweist, dass eine gute Erziehung durchaus etwas bewegen kann.  Als sie nun schon schöne runde Hüften und Brüste wie die französische Revolution hat, sprengt sich der Vater selber in die Luft und die Bardot, die im Film Maria heißt, muss ins Exil.

Sie geht nach Süd-Amerika oder Süd-Schöneberg und schließt sich einer Artisten-Gruppe an, die mit Pferdewagen durch die Völkergemeinschaft fährt. Sie trifft dort Jeanne Moreau und beide geraten mit ihrer Truppe in die wöchentliche Revolution. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn nicht die Konter-Revolutionäre den Geliebten der Moreau verhaften würden. Sie besucht ihn im Knast, wo er mit Ketten aufgehängt ist, aber so, dass die Moreau, mit einigem revolutionären Geschick, ihn im Stehen bumsen kann. Und die Ketten klirren dazu. Sie heißt im Film auch Maria. Aber er wird trotzdem hingerichtet. Das weckt bei Moreau die revolutionären Instinkte, die bald hell brennen. Diesen Unterdrückern wird sie’s zeigen. Frauen lassen sich nicht abhalten von einer Kette, nicht bei so einem hübschen Jungen.

Zwei Marias, Jeanne Moreau und Brigitte Bardot, kurbeln nun die Revolution an in Mittelame­rika, aus Liebe. Sie nutzen typisch revolutionäre Mittel: Striptease in einer Arbeiter-Kneipe. Aber bevor sie zu weit gehen, werden die Arbeiter schlagartig katholisch, sie rufen „Ho, Ho, Hosen an!!“, sie wollen eine moralische Revolution. Viva Maria!!!

Die Bardot hat zudem, wie einst die Luxemburg, ausgezeichnete Beziehungen zur Arbeiterklasse und führt eine Strichliste mit all den Typen, die sie im Bett hatte und sie ist sehr stolz darauf.

Für mich war der Film nötig. Bei all den Polizisten, Vollversammlungen, Voll-Kiffs und Halb-Kiffs, Sit-Ins, Go-Ins geht mir leicht der Überblick verloren auf die Welt-Politik. Da ist, nach Ende der Demos, ein Film wie „Viva Maria“ sehr hilfreich. Er ordnet die Berliner Revolution ein in all die anderen Weltrevolutionen, bei der die Völker die Signale hören.

Die Frauen zu unterschätzen ist ein schwerer Fehler der Konter-Revolutionäre, denn nun verwandelt sich die Moreau in Jeanne d’Arc und die Artisten-Truppe wird eine Guerilla-Truppe. Sie haben alle Spezialisten, die man für die Revolution braucht: einen starken Mann, der Ketten zerreißen kann, einige Hochseil-Politiker, die über Abgründe gehen und mehrere Clowns und Messer-Werfer, im Nebenberuf Anwälte.

Sie nehmen sich einen Knüppel oder ein Gewehr oder einen Entschluss und stürmen als junge Garde die Zwingburgen des Kapitalismus. Der starke Mann verbiegt die Gitterstäbe des Gefängnisses, damit die Unterjochten raus können und die Hochspringer überspringen die Mauern.

Natürlich lassen die Wert-Konservativen sich den Umsturz der demokratischen Grundordnung nicht gefallen. Die Polizei bekommt neue Knüppel und den Ärmsten der Armen wird der der Joint weggenommen. Die Ausgebeuteten müssen in großen Hamster-Rädern laufen, immer rund, immer Fließband, immer Mercedes oder Ford, damit der Dynamo Strom erzeugt für das Wirtschafts-Wunder.

Nun kommt es zum Kampf. Die Kapitalisten schießen mit Maschinengewehren, während die Guten nur geklaute Flinten haben. Aber die Artistentruppe schaltet sich ein. Der Gewichtheber hebt die Revolutionäre über die Mauern und der Messerwerfer wirft Messer und der Chef hat ein Gewehr mit gebogenem Lauf, mit dem er um die Ecke schießen kann, was den Glauben der Kapitalisten schwer erschüttert.

Es ist so viel Kampf, so dass Maria Bardot gar keine Zeit hat für die Bumserei, jedenfalls nicht für die Strichliste. So nimmt der Fortschritt seinen Lauf und die Kapitalisten kapitulieren. Nun kann nur noch die katholische Kirche helfen. Sie schickt den christlichen Volks-Sturm an die Front, alle in braunen Kutten.

Es werden die üblichen theologischen Mittel eingesetzt. Die Revolutionäre werden in einem Folterkeller gefoltert. Aber die al­ten Zangen, Daumenschrauben und Kreuzigungs-Streckbänke sind verrostet und zerbrechen. Oh, Gott, warum hast du uns verlassen!

Die Bischöfe machen, was gut ist für’s Seelenheil und foltern, wen immer sie auf die Folter kriegen. Sie ist eingerichtet in einem Keller mit glühenden Feuern und all den Folter-Geräten an den Wänden, na, wie es eben so aussieht im Vatikan.

Die fürchterlichen Daumenschrauben, Streckbänke, Weih-Wasser-Schwenker mit Stacheln, die Zehn-Gebote mit glühendem Haken hängen überall an der Wand.

Aber wegen des langen Stillstands sind sie verrostet und zerbrechen schon beim einfachen Rippen-Brechen. Nun bleibt der Bischofs-Konferenz nur noch Beten. Aber wegen des langen Stillstands wirken die Gebete nicht mehr oder der Liebegott ist gerade auf Mallorca.

Die Revolutionäre stürmen den Bischofs-Palast und werfen dem obersten Christen eine Bombe hinten in die Kapuze seiner Kutte. Aber der Kirchenfürst ist gewalterprobt. Wenn der Kopf ab ist, nimmt er ihn eben in beide Hände und trägt ihn vor der Brust, wo er, der Kopf, immer weiterbetet, die ganze Treppe runter. Das ist das Ende aller Unterdrückung, auch wenn der Berliner Polizei-Präsident noch nicht zurückgetreten ist.

Alle Völker sind nun glücklich und grüßen Rudi Dutschke, der Che Guevara heißt, der Bruder ist von Ho Chi Minh, der bei Jeanne d’Arc nicht rankam wegen des Panzers. Und auch Karl Marx lässt sich den Bart kraulen, obwohl er in den Kudamm-Cafés Hausverbot hat seit er mit LSD erwischt wurde.

Alle Völker sind glücklich, so wie es in den Geschäftsbedingungen der Revolutionen steht.

Ich bin mir natürlich bewusst, dass dieser Film nicht auf Berlin übertragen werden kann, weil Rudi Dutschke kein Gewehr hat, das um die Ecke schießen kann. Aber mit seinen Sprüchen kann er das durchaus. Alle anderen Figuren sind sehr realistisch. Ich kenne in Berlin mindestens drei Bardots, die eine Strichliste führen und 4 Moreaus, die sich auch von Ketten nicht abhalten lassen, wenn der Mann rumhängt.

Die Berliner Bischöfe sind auch gut getroffen. Nur dass sie keine Daumenschrauben benutzen sondern Springer-Zeitungen. Jedenfalls, nehme ich mir vor, muss bei der nächsten revolutionären Demo bessere Musik gespielt werden. Die Internationale ist einfach zu lahmarschig für einen guten Film.

Und statt in die Bücher zu sehen, schaue ich den Frauen lieber in den Ausschnitt und fra­ge sie, ob sie mich nicht auf ihre Strich-Liste nehmen wollen, was ja bekanntlich die Vor­aussetzung für jede Revolution ist. Naja, sagen sie. Wenn du mit dem Gewehr um die Ecke schießen kannst.

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