1965 bin ich oft in das Kino am Olivaer Platz gegangen. Ich habe schon nicht mehr richtig studiert, bin immer mehr ins Künstlerische abgetrieben. Natürlich hatte ich wenig Geld.
In dem Kino war die zweite Nachtvorstellung, die so gegen 1:00 Uhr anfing, kostenlos. Es wurden wunderschöne Filme gespielt, die von den Ku-Damm-Kinos sofort in den Müll geworfen wurden. So auch die Filme der vier Marx Brothers, vier Abriss-Birnen für die herrschende Kultur.
Besonders der Film „Im Krieg“ trug sehr zu meiner politischen Bildung bei. Ich fand, er war eine sehr gute Analyse unserer wehrhaften Demokratie. Gedreht wurde er 1933. Da war der Diktator Mussolini in Italien schon sehr bekannt, aber den deutschen Kanzler Hitler kannten die Amerikaner wohl noch unter dem Namen Bismarck, der Typ mit der Pickelhaube, der am Little Big Horn auf Seiten der Indianer gekämpft hatte. Also Hitler musste man sich dazu denken, damit der Film für Deutsche verständlicher ist.
Hier ist meine Zusammenfassung aus jener Zeit, geschrieben 1966.

Die Republik Freedonia sieht aus wie vom bayerischen Tourismus-Büro: Schöne Berge in schöner Landschaft und überall sind schöne Burgen verteilt und alle tragen, wegen der Tradition, eine Lederhose. Aber das Land ist verschuldet und das auch noch beim Erbfeind und der droht nun mit Krieg, wenn nicht gezahlt wird.
Der Präsident von Freedonia ist gerade gestorben und seine Witwe, Madame Teasdale, hat eine Idee. Sie will dem Staat die nötigen Millionen geben für den Schuldendienst, aber nur, wenn Groucho Marx, unter dem Namen Firefly, Diktator wird.

Die ganze Elite des Landes, das Kabinett, Soldaten mit Federn an der Mütze und Mädchen mit kurzen Kleidern, die herrschenden Generale von Freedonia, alle sind im großen Saal versammelt. Was soll man da machen als Volk, fragt die Elite. Bevor wir die Schulden bezahlen, machen wir doch lieber eine Diktatur, Halleluja, die einen Krieg anfängt und der Verlierer zahlt alles, also ein ganz normales Rezept in jener Zeit.

Der neue Diktator, Groucho Marx, hat seine Machtübernahme glatt verschlafen und muss erst geweckt werden. Und bis er kommt, muss ganz Freedonia die National-Hymne singen, immer wie-der, so lange bis Groucho erscheint. Dann schmettern die Fanfaren.

Der Botschafter des Erbfeinds heißt Trentino, er wird dem neuen Diktator vorgestellt und Groucho sagt: „Wir brauchen 20 Millionen.“ „Das ist viel Geld“, sagt der Botschafter. „Na, dann vielleicht 50 Dollar“? fragt Groucho. Aber der Botschafter will nicht zahlen. Nun, dann muss es eben Krieg geben.

Der neue Diktator Groucho sitzt in seinem Büro und überlegt, wer Verteidigungs-Minister werden könnte, denn ohne einen solchen ist es kein richtiger Krieg.

Draussen auf der Straße nervt Chico Marx und ruft: Erdnüsse, Erdnüsse, kauft Erdnüsse. Er hat einen Erdnusswagen mit mehreren Beuteln Erdnüssen, also gesunder Mittelstand.

Groucho ruft runter: „Wollen Sie nicht lieber Verteidigungs-Minister werden?“
„Na wenn das gut bezahlt wird“, sagt Chico und so hat die neue Diktatur einen Verteidigungs-Minister, ein großer Schritt vorwärts.
Er entwirft gleich seinen Arbeitsvertrag:
Arbeitsbeginn 11 Uhr
Mittagsessen 12 Uhr
Arbeitsende 3 Uhr,
Zwei Mal im Jahr 6 Monate Urlaub.

„In Ordnung“, sagt Groucho. „Nun zur Kriegsstrategie“.
Ohne die geht es nicht. Ein genialer Feldherr trickst den feindlichen Feldherrn aus mit einem genialen Plan, Sichelschnitt oder einen Blitzkrieg mit allen Flügeln durch die Mitte, quer durch die Ardennen.
„Aber wir haben wenig Geld“, sagt Groucho, „was für ein Heer wollen Sie haben, Herr Verteidigungsminister?“
Chico sagt: „Ich will ein stehendes Heer, so sparen wir schon mal das Geld für die Stühle.“

Er hätte es auch sagen können, wie die britischen Militärs: es lohnt nicht, in die Panzer eine Heizung einzubauen, die Tanks fahren ja im Durchschnitt nur vier Wochen, bevor sie abgeschossen werden. Und eine gute Ausbildung ist auch rausgeworfenes Geld, denn die Panzer-Soldaten leben auch nur 4 Wochen. Minimale Ausbildung, damit sie nicht in die falsche Richtung schießen, das ist klar.
Und nach vier Wochen kriegen sie einen Orden und die Witwe kriegt eine Rente. Das ist immer noch billiger als Ausbildung. Natürlich ist eine Armee dann am rentabelsten, wenn jede Seite ihre Leute selber umbringt, aber da müssen sie das Volk erst noch besser erziehen.
Man sieht: Marx Brothers gibt es in jeder Armee.

Aber schon gibt es Ärger, denn die Frauenverbände sind gegen Krieg. „Nie wieder Krieg“, rufen sie und gefährden so den Existenzkampf des Volkes.
„Dabei habe ich schon das Schlachtfeld gemietet“, sagt Groucho.
Er muss einen Weg finden, den Krieg zu retten.
Chico schlägt vor, den Erbfeind zu beleidigen und zwar so, dass er an der Ehre gekränkt ist, die nur noch mit Blut ehrenhaft ist. Das ist eine gute Methode der klassischen Diplomatie, einen Krieg zu provozieren, den man nie wollte.

Beim nächsten Treffen beleidigt Groucho also den Botschafter, worauf dieser Groucho beleidigt, worauf dieser zurückbeleidigt, wie das so ist in der Diplomatie.
So richtig beleidigt fühlt sich Groucho aller nicht. Da ist er aus seiner Stammkneipe ganz andere Sachen gewohnt.

Aber dann nennt der Erbfeind Groucho einen Emporkömmling. Das findet Groucho nun doch sehr beleidigend. Schließlich gehört Groucho zum Kreuzberger Hoch-Adel. Er ohrfeigt den Botschafter, der daraufhin wutentbrannt die diplomatischen Beziehungen abbricht. Vorher wirft er noch den Fehdehandschuh ins Zimmer.
Die Diplomatie war also sehr erfolgreich, das Schlachtfeld ist nicht umsonst gemietet. Der Krieg ist gerettet.

Nun muss der Krieg dem Volk bekannt gegeben werden, damit es jubeln kann.

Die ganze Nation ist im großen Saal versammelt, natürlich ohne Volk, dafür ist nicht genug Platz. Alle brechen aus in eine nationale Begeisterung, also sowas Nationales erlebt man selten wie in Freedonia und Italien und Deutschland und in den 122 anderen Kriegen des Jahrhunderts. „Hail Freedonia“, so heißt „Heil“ im mittleren Westen, „Heil Freedonia!“
Die Minister hüpfen über die Sessel, recken den Hintern hoch, damit man den Patriotismus sieht, die Flöten flöten, die Trommeln trommeln und die Sekretärinnen ziehen die die Röcke hoch, damit die Soldaten voller Freude auf dem Feld der Ehre durch den Schlamm kriechen.

Es marschieren durch den Saal die Soldaten des deutschen Kaisers mit dem Pickel auf der Haube, die Mussolini-Leute mit Hühnerfedern am Hut, die ersten amerikanischen Trapper mit Pelzmützen und jede Menge Generale mit viel Blech an der Jacke, wie das so ist bei einem Kriegsausbruch.
Das wäre geschafft. Der Krieg ist gut gestartet. Nun muss er nur noch gewonnen werden.

Das ist nicht so leicht, denn der Verteidigungsminister Chico ist im Neben-Beruf Spion für die andere Seite, den Erbfeind, und er will, zusammen mit Harpo, die Kriegspläne klauen, die bei der Mutter der Nation in der Handtasche sind. Aber mit viel Ballett und so misslingt der Diebstahl.

„Nun brauchen wir auch noch Spione, die für die Gegenseite arbeiten“, sagt Groucho, „denn sonst weiß der Gegner ja nicht, was wir vorhaben.“
Sie setzen Annoncen in die Zeitung: Spione gesucht, aber nicht älter als 25 und alle weiblich. Jede Bewerberin wird getestet. Sie muss ein gestohlenes Geheim-Papier verstecken und sie findet auch ein gutes Versteck, zieht den Rock hoch und steckt das Papier hinter das Strumpfband. „Sie sind eingestellt“, sagt Groucho.

Nun ist also Krieg, der sehr anstrengend ist, weil Groucho, der Oberbefehlshaber, in einer halben Stunde fünf verschiedene Uniformen anziehen muß, damit jede Provinz ein gutes Bild für den Platz in der Geschichte hat. Sie glauben ja nicht, wie viele verschiedene Lederhosen es in Freedonia gibt, die alle zur Tradition gehören.

Es läuft also alles gut. Die Flieger fliegen, der Nachschub rollt, die Gewitter werden zu Stahl-Gewittern und die Helden kriechen durch den Dreck auf der Suche nach einer Heldentat.
Die Industrie liefert, wie es so üblich ist, verrostete Kanonen und die Munition geht irgendwo verloren und die dicken Granaten kommen zwar an, aber sie explodieren nicht. Es ist also ein ganz normaler Krieg.

Die oberste Heeresleitung, bestehend aus Groucho und dem Verteidigungs-Minister, lässt sich et-was einfallen, damit der Krieg nicht wegen schlechter Qualität der Waffen ausfallen muss.

Nun erweist es sich als Glück, dass Chico auch für die Gegenseite arbeitet.
So kann er mit Groucho den Krieg gut abstimmen.
Groucho hat zu viele Kavalleristen, aber keine Pferde und Chico hat viele Pferde aber keine Reiter. Sie einigen sich auf einen fairen Austausch, immer halbe-halbe. Genauso machen sie es mit der Artillerie und den Infanteristen, die sehr ungleich verteilt sind in den Armeen. So sorgen sie für einen fairen Kampf.

Aber die Moral der Truppen ist nicht gut. Viele Soldaten wollen sich nicht erschießen lassen, aus Mangel an Patriotismus, vermutet die Führung. Was fehlt, ist ein Held, der ganz allein, nur mit seiner Flinte, die feindlichen Linien durchbricht, wo schon das Ritterkreuz auf ihn wartet. So einen brauchen wir, sagt Groucho und: „Sagen Sie mal, Sie sind doch ein tapferer Verteidigungs-Minister, könnten Sie nicht …“
„Jawohl“, sagt der Verteidigungs-Minister, „ich schicke gleich jemanden los, der solch einen Mann sucht“. Dann sagt er zu Groucho: „Also Tschüss. Ich wechsel jetzt mal die Seiten.“

Wie viele Kriege wogt auch dieser hin und her, mal siegt die Freiheit, mal die Unfreiheit und nachts werden beide leicht verwechselt.

Der Feind macht einen Gegenangriff und stürmt nun das Führer-Hauptquartier, in dem Groucho der ganze Staub der zerschossenen Mauern um die Ohren fliegt.
Und nun kommt auch der Verteidigungs-Minister dazu. Groucho fragt: „Sie haben doch die Seiten gewechselt. Was wollen Sie hier?“ „Hier ist das Essen besser“, sagt der Minister.

Er kann ohnehin nicht wieder zurück-überlaufen, denn der Gegner bricht schon die Tür auf. Nur mit Mühe können die vier Marx-Brothers bis zum letzten Atemzug kämpfen. Sie bewerfen den eindringenden Feind mit faulem Obst und es gelingt ihnen, den Botschafter des Erbfeinds in der Tür einzuklemmen, worauf der, wie es die Regel in guten Kriegen ist, sich sofort ergibt.
Der Krieg ist gewonnen! Lasset uns jubeln!

Aber gleich fängt die Mutter der Nation an, eine Oper zu singen und alle Kriegsparteien bewerfen sie mit dem Rest des faulen Obstes, aber sie hört nicht auf mit der Kultur.

Natürlich brauchen die meisten Kriege länger als 90 Minuten und es wird auch mehr gelogen. Die rostigen Kanonen heißen dann „Material-Mängel“ und die tot-geschossenen Infanteristen heißen „Verluste“. Verlorene Schlachten heißen „strategische Fehleinschätzungen“ und feige Generäle werden vorzeitig in Pension geschickt. Die einen werfen Bomben auf Engelland, das sind die Hel-den und die Amerikaner werfen Bomben auf Deutschland. Das sind die Terror-Angriffe.
Aber mal abgesehen von solchen sprachlichen Feinheiten fand ich die Analyse der Marx-Brothers sehr treffend.