Es ist viel los. In Bonn tritt CDU-Kanzler Erhard ab, es regiert nun die Große Koalition aus CDU und SPD. Ex-NSDAP-Mitglied Kiesinger und der Anti-Nazi Brandt arbeiten zusammen im Kabinett. Studentenführer Rudi Dutschke ruft zur Bildung einer „Außerparlamentarischen Opposition“ auf, der APO. Der Vietnamkrieg fordert immer mehr Opfer und provoziert immer mehr Widerstand. Die Ideale der Eltern haben für die Jugendlichen keinen Wert mehr.
Überall ist noch der Adenauer-Staat. Im Oktober wird Albrecht Speer, der Handlanger des Führers, aus dem Gefängnis entlassen und auch Reichs-Jugend-Führer Baldur von Schirach. Zwei Drittel der Geheimdienst-Jobs sind mit alten Nazis besetzt. Alle Richter der Nazi-Justiz entgehen dem Rechts-Staat. Sie haben mehr als 40 000 Todes-Urteile gesprochen und bauen nun die Demokratie auf. Weiterlesen
Schlagwort: 1966
Günter Zint, genannt „der Zint“, wurde in Fulda geboren, wo die Bischöfe nicht nur Kanonen segnen, sondern auch das Böse suchen in jedem Bett.
Der Zint war immer Pressefotograf. Ich habe ihn in München kennengelernt, wo er für Illustrierte arbeitete. Er hatte immer ein Auto, was ihn damals ziemlich wertvoll machte. Ich durfte sogar in einem Fiat-Toppolino schlafen, als ich, wieder einmal, kein Zimmer hatte. Weiterlesen
Zint arbeitet für eine Jugendzeitung, die der Bravo Konkurrenz machen will und er bequatscht die Leute von der Spesen-Kasse. Wir dürfen nach England fahren, um diese neue Bewegung umzusetzen in Fotos, die umgesetzt werden können in Knete.
London ist eine Arbeiterstadt mit fish’n’chips-Buden und dunklen Straßen von Edgar Wallace. Es stinkt nach Pisse.
Wir gehen in die Musikschuppen, den Marquee-Club zum Beispiel, ein dreckiges dunkles Lokal, ganz vorn in der Szene. Überall Beat mit fast nackten Mädchen. Das ist die neue Explosions-Mischung für die Nach-Panzer-Gesellschaft: Beat und Sex. Weiterlesen
Zint ist, wie immer, ein Irrwisch. Er hat mehr Ideen pro Tag als er in einem Jahr umsetzen kann. Er will eben unbedingt berühmt werden. Gestern hat es nicht geklappt, aber er gibt dem Ruhm noch drei Wochen Zeit, sonst, wer weiß, was er sonst macht, aber es wird schrecklich sein.
Aber Zint hat auch Gespür.
Da gibt es diese neue Musik von jungen Leuten mit den langen Haaren, „Negermusik“, sagen die deutschen Wert-Konservativen. Das sind die jungen Leute, die gerade solange Musik studieren, bis sie die Gitarre richtig rum halten können und dann schrammeln sie los mit drei Akkorden, aber volle Lautstärke. Weiterlesen
Ich habe die Nacht auf dem Fußboden geschlafen, in einem schmutzigen Schlafsack, in einem winzigen Zimmer, mit ein paar Typen, die kreuz liegen und quer auf dem Boden, auf Matratzen, halb unterm Tisch. Der Zint hat sie gestern Nacht aufgegabelt in einer Kneipe.
Steif, müde und weich gekocht von der Hitze stehe ich auf, räume das schmutzige Geschirr im Spülbecken zur Seite, um mir wenigstens die Zähne etwas putzen zu können. Ich mache das Fenster auf für den Alkohol-Dunst. Es ist Sonntag. Der Liebegott lauert in den Kirchen auf Kunden.
Ich will mir heute Hamburg anschauen, wie es singt und lacht. Ich gehe durch St. Pauli. Die Gegend ist so schmuddelig, wie in der Hamburg-Werbung versprochen. Verzeihung, sage ich zu einem Mann, der seinen Hund an einer Laterne ein Bein heben lässt. Wir schauen beide zu, aber es kommt nichts. Läuft auch nicht so richtig, sag ich. Weiterlesen