Paul Glaser mit Stahlhelm, nötig, wenn mit einem Bolzen-Schuss-Gerät Platten am Beton befestigt werden. Foto: Privat

Paul Glaser mit Stahlhelm, nötig, wenn mit einem Bolzenschussgerät Platten am Beton befestigt werden. Foto: Privat

Krumme Straße 53

Seit ich in Berlin bin ist nicht viel mit Studieren. Das Leben ist teuer und ich jobbe mehr bei den Heinzelmännchen, der studentischen Arbeitsvermittlung, als ich studiere. Ich lebe damals mit Chris zusammen und wir hängen abends immer zusammen rum in den Charlottenburger Kneipen.

Für ein halbes Jahr finde ich Arbeit auf dem Bau als Eisenflechter und bin dabei, als die neue Springer-Zentrale gebaut wird, in Kreuzberg, direkt an der Mauer.

Auf den Baustellen sind die Regeln locker. In meiner Kolonne sammeln sich Leute, die ab und zu mal im Knast waren, auf der Flucht vor den Alimenten oder dem Gerichtsvollzieher und die meisten sind auch nicht versichert, leben von Tag zu Tag. Es ist das Jahr 1963, als Kennedy ermordet wird.

Selbst die größten Suffköppe in der Kolonne machen sich Gedanken: wer steckt dahinter? Die Kommunisten? Wird es Krieg geben? In Berlin wird jeden Tag geschossen an der Mauer, Krieg käme nicht überraschend.

Eisenflechter

Ich setze wieder einmal ein Semester aus mit dem Studium und arbeite als Eisenflechter auf dem Bau, bei einer freien Kolonne, man kann auch sagen, bei einer wilden Kolonne.

Sie besteht aus einem Schieber, drei Zentner schwer, und so an die 10 Mann, wenn viel zu tun ist auch mal 20, wen man gerade kriegen kann. Leute, hinter denen der Gerichtsvollzieher her ist oder der Staatsanwalt, die ihr Geld immer versaufen, zu viele Vorstrafen haben, Ärger mit der Frau, eben ein Querschnitt der Gesellschaft, ärmerer Teil.

Der Schieber besorgt die Aufträge. Er redet mit den Polieren auf den Baustellen, die in Zeitnot sind oder billige Arbeitskräfte brauchen oder Leute, die er rausschmeißen kann mit 1 Stunde Kündigungs-Frist oder fristlos.

Wir rücken an auf der Baustelle, legen hier ein Fundament oder knippern die Säulen für das Treppenhaus. Wir flechten 24-mm-Moniereisen zu Eisen-Gerippe, die dem Beton Halt geben. Ganze Säulen flechten wir oder auch ganze Fundamente, so groß wie ein halbes Fußball-Feld. Dafür gibt es Zeichnungen, Pläne und viele Kontrollen, damit nicht zu wenig Eisen geflochten wird und der Bau irgendwann in der Zeitung steht als Pfusch-Bau.

Es ist harte Arbeit. Die 24 mm starken Eisenstangen müssen gebogen werden, abgeknickt, im Zickzack, in Wellen, so wie die Statiker es ausgerechnet haben.

Die Stangen werden mit einer Maschine gebogen. Das Eisen wird eingelegt, ein Arm der Maschine hau t, rumms!, ein Ende des Eisens auf 90 Grad.

„Na, mach ma“, sagt der Schieber bei meinem Einstellungs-Gespräch und ich lege das Eisen ein und rumms! haut die Maschine es auf 90 Grad und mich einige Meter weit. „Du musst fest halten“ sagt der Schieber, „noch mal!“ und beim zweiten Mal gehe ich wenigstens nicht zu Boden. „Geht doch“, sage ich und Orje sagt: „Nee, lass man, det kann ick nich mit ansehen. Det mach ick“.

Er ist ein Mann, den sie auch einsetzen können als Bau-Kran, besteht fast ganz aus Muskeln und es macht ihm Spaß, den Eisenstangen zu zeigen was eine Biege ist. Für ihn ist den ganzen Tag Body Building.

Unser ganzes Werkzeug besteht aus einer Zange, der Knipper-Zange. Mit ihr kneifen wir Draht ab, legen es um 2 Stangen und die drehen die Zange bis der Draht fest sitzt. Ruck-zuck geht das, wenn man es kann. Schon ist das Gerippe für eine Säule fertig.

Für die Fundamente nehmen wir 24-mm-Monier-Eisen, 2 Meter hoch gefaltet, für das Fundament des Treppenhauses bei Springer. An ihm werden dann später die Stockwerke aufgehängt.

Ganze LKW-Ladungen mit Moniereisen kommen jeden Tag. Abladen mit dem Kran, ablegen, zur Biegemaschine bringen, das gebogene Eisen zur Baugrube bringen, fest-knippern.

Das Büro unserer Kolonne besteht aus einem alten Koffer, in dem der Schieber alle Unterlagen aufbewahrt. Manchmal ist die Wirtschaft bei uns in einer Rezession, keine Arbeit. Dann bauen wir auch Gerüste ab für eine andere Firma, drei, vier Stunden ran-klotzen, Knete bar auf die Hand, nix Schriftliches. Da wäre das Finanzamt ja bloß neidisch.

Oder wir fahren Bauschutt weg, eben alles, was für die Vermehrung des Brutto-Sozial-Produkts nötig ist.

Die Kolonne hat auch einen guten Ruf beim Fleischhandel. Vom Großmarkt, wo der Schieber einen kennt, der mal mit seiner Frau gegangen ist und der kennt einen Lademeister und so kriegen wir Schweinehälften und Stränge von Kassler-Rücken. Wir verkaufen dann auf den Baustellen an die Kollegen aus dem Kofferraum.

Solche Arbeit gehört nicht in den Büro-Koffer und auch nicht, was wir so nebenher besorgen, mal eine Palette Dachziegel oder einige Sack Zement, die aus Versehen vom LKW gerutscht sind.

Das Leben auf dem Bau ist abwechslungsreich. Gelegentlich gibt es Prügeleien mit anderen Kolonnen oder einem Polier, der das Geld nicht auszahlen will, weil, so sagt er „alles Pfusch ist, was ihr gemacht habt“. Kann sein, kann sein, Junge, aber du kriegst den Pfusch ja bezahlt und wir wollen unseren Anteil und wir haben ja auch gute Argumente. Wir zeigen ihm, wie viele Knüppel rumliegen auf der Baustelle und er wählt dann doch lieber eine diplomatische Lösung und zahlt. Denn, so beschreibt unser Schieber ihm den Vertrag: „Du hast nur die eine Nase“.

Die meisten juristischen Probleme lösen wir also mit Hilfe einfacher proletarischer Gewalt.

Da habe ich eine sehr schwache Position in der Kolonne, was die Muskeln angeht, aber Leute wie Kalle haben eine große Furcht vor allem Papierkram und so schreibe ich ihnen auch mal die Briefe oder bitte das Gericht um Verschiebung des Termins, weil die Frau gerade bei jemandem lebt, der mindestens so stark ist wie Kalle. Oder an den Hauswirt, weil die Tür rausgehauen wurde, gestern, „wegen dem Korn“, sagt Kalle.

Am meisten macht ihnen die Justiz zu schaffen. Sie verstehen schon nicht, was in den Briefen steht. „Heißt det, ick krieg Bewährung“? Nee, heißt es nicht. „Es heißt du gehst wieder in‘ Kahn, wenn du nix machst“.

Er hat schon wieder seien Freundin verhauen und nun drohen doch schon einige Monate mehr, weil die Richter das nicht mehr als Spontan-Prügel sehen, sondern als wiederholte Tätlichkeit.

„Mein  Rechtsanwalt iss ne Pfeife“, sagt Kalle „schreib du mal an det Gericht“. So kommt seine Freundin mal mit in die Baubude, eine stark-blondiert handfeste Frau und sie erzählt wie’s war, nämlich anders als Kalle erzählt.

Ich sage: Wir brauchen fürs Gericht einen guten Grund, warum Kalle explodiert ist, einen möglichst sehr deutlichen Grund, damit er als minutenlang unzurechnungsfähig gelten kann und am besten ist es, wenn die verprügelte Freundin das alles bestätigt.

„Na, erzähln se mal“, sag ich und die Freundin erzählt. Da kommt er von einer Sauftour, morgens so gegen 4 nach Hause „mit sein‘ Kumpel“, sagt die Blondine und schläft gleich ein aufm Sofa. Wenn sie eins nicht leiden kann, dann, dass der Mann einfach einschläft.

„Aber dann wird er doch wach“ sagt die Freundin und Kalle sagt: „da seh ick wie sie dem Schorsch den Schwanz lutscht“, sagt Kalle. So können wir das nicht schreiben, sage ich, wir schreiben: da sah er seine Freundin bei sexuellen Handlungen mit seinem Freund.

„Und da bin ick durchgedreht“ sagt Kalle und seine Freundin sagt: „Und denn hat er mir  vertrimmt“. Das können wir schreiben, sage ich.

Das ist alles ein Versehen, meint die Freundin, wenn sie nicht ins Urban-Krankenhaus gegangen wäre, die Lippe nähen. „Und denn hat mir der Arzt bequatscht: ick soll den Kalle anzeigen“.

Ein Fehler, wie beide jetzt einsehen.

„Und det hilft mit die sexuellen Handlungen“? fragt sie. Das weiß ich natürlich nicht, aber weil die Prügeleien schon ein paarmal vorgekommen sind, kann das einige Monate kosten. Und wenn Kalle richtig provoziert worden ist dann sagt der Richter vielleicht, der ist halt mal ausgerastet und weil ihr beide den Brief unterschreibt ist das auch glaubhaft. Und die Freundin ergänzt: „Wenn sie’n lange einlochen, wovon soll ick denn leben. Ick hab nicht gelernt. Soll ick denn uff n Strich gehen?“

Ich sage, das fragste den Richter besser mündlich. Das schreiben wir nicht auf. Sonst kommt vielleicht noch die Sitte. Und sie unterschreiben beide und sie fragt dann: watt kostet denn det bei dir?“. Ich sage: „Nichts“ und sie sagt: „Also wenn de willst, können wir beide, ick meene, wenn du Lust hast..“

„Nein“, sage ich und sie ist beleidigt und sagt. „Ick bin dir wohl nicht gut genuch, wat?“ Und Ich erzähle ihr, dass ich auch Probleme habe mit meiner Freundin und mir ist gar nicht zumute nach sowas, sage ich. Das verstehen beide.

Solche Briefe stärken meinen Ruf in der Kolonne und ich kenne bald schon die Hauswirte, die immer gleich Leute rauswerfen wollen, wenn einer mal nachts singt.

Ich schreibe Briefe an den Gerichtsvollzieher und drohe dem Liebhaber der Frau unseres LKW-Fahrers, wenn er nicht aufhört so rumzuvögeln, dann muss er die Frau ganz nehmen, einschließlich der Kosten.

Als Lohn muss ich nicht mehr an die Biege-Maschine.

Baustelle Springer

Dann kriegen wir eine besondere Arbeit. Wir machen den Gleitbeton am Springer-Hochhaus, das damals gerade gebaut wird. Dabei wird das Treppenhaus in einem Stück gegossen in Beton von unten nach oben, ohne Unterbrechung, rund um die Uhr. Wir knippern die Moniereisen und legen sie dann stockweise hin, damit die Beton-Gießer den Beton hochpumpen in die Schalung, Stockwerk für Stockwerk. An dem Treppenhaus werden später dann die einzelnen Stockwerke aufgehängt.

Wir schlafen schichtweise im Bauwagen. Mit genug Bier riecht man die Füße nicht so, aber Korn ist verboten. Für die meisten Kollegen ist der Bauwagen auch nicht schlechter als die Wohnung und es wird auch noch gut bezahlt. Sie haben gute Stimmung. Und für mich es ist schon ein tolles Gefühl, wenn ich so auf dem Bau nachts, mit Handscheinwerfern beleuchtet, arbeite vor dem Stadt-Panorama und alles sieht friedlich aus von so weit oben. Ich denke gerne daran zurück.

Wir ziehen also das Treppenhaus hoch und der Polier ist auch noch zufrieden und flucht nicht wie sonst.

Schlechtwetter

Manchmal, wenn es zu sehr regnet, können wir nicht arbeiten. Der Beton mag das nicht. Morgens um sieben schaut sich der Polier das Wetter an und sagt: „Is nix mit Arbeit. Wir gehen auf Schlechtwetter“. Dann wird fast der volle Lohn bezahlt, obwohl wir nicht arbeiten.

Die meisten von uns haben nun keine Lust nach Hause zu gehen, weil sie da vielleicht den Schrank reparieren müssen oder den Müll runtertragen und der Schieber sagt: wir machen ne Sause.

Damals ist Berlin noch Provinz, so früh hat kaum eine Kneipe offen, aber der Schieber kennt am Stuttgarter Platz einen Puff, der unten eine gemütliche Kneipe hat, wo die Freier die Mädchen treffen. „Ich wohn‘ da nicht weit“ sagt der Schieber, in der Krummen Straße.

Es war so eine normale Arbeiter-Kneipe. Die Bänke mit Kunststoff bezogen, die Tische auch, bier-unempfindlich, Linoleum-Fußboden, rotes Licht wie es sich gehört für einen Puff. Und weil die Mädchen wenig zu tun haben so früh, setzen sie sich zu uns zum Plaudern. Wer sein Eisenflechter-Geld nicht behalten will, kann es gleich einem der Mädchen geben und sie zählen es dann gemeinsam im oberen Stock.

Niemand ist sauer wegen des schlechten Wetters und die Frauen geben auch Rabatt, weil es regnet.

Ich nutze solche Kneipen-Besuche, um mir einiges aus dem prallen Leben erzählen zu lassen, das sich immer dreht um Suff, Frauen und Prügel und den allgegenwärtigen Feind, den Staat. Der sorgt dafür, dass mit der unverständlichen Bürokraten-Sprache der einfache Kalle und seine Freundin immer verlieren, Justiz und Sprache als Waffe gegen das Volk.

Die Geschichten selber unterscheiden sich nicht von jenen der Promis oder des Adels, nur dass die mehr Nebensätze haben beim Erzählen.

Gesellschaft

Ich wohne inzwischen Krumme Straße 53, beim Kolonnenführer, einem Mann mit einem riesigen Bauch und dröhnendem Lachen, der seine Arbeiter so nimmt wie sie sind und keine Fragen stellt, außer die Polizei kommt zur Kontrolle.

Ich habe bei ihm ein kleines möbliertes Zimmer gemietet, gerade so groß, dass ein Bett reinpasst und eine Freundin.

Hoppe, so heißt mein Wirt, wohnt im Berliner Zimmer, einem Durchgangszimmer, und wann immer ich zur Toilette oder zur Küche gehe, muss ich an seinem Bett vorbei, wo er mit der Freundin liegt. Sie hat ein grünes und ein blaues Auge. „Ich hab‘ mich gestoßen“, sagt sie, Hoppe kommentiert das nicht. Sie liegen brav auf dem Bett, wenn ich durchgehe.

Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier und bald stört es sie nicht mehr, wenn ich vorbeikomme und so kann ich herausfinden, wie man das macht mit drei Zentnern, ohne die Frau tot zu drücken. Sie machen es ganz emanzipiert, sie oben, mit einer sehr breiten Auflage.

„Mach die Tür zu“, ruft Hoppe mir zu und die Frau mit den zweifarbigen Augen lässt sich nicht stören. Vielleicht will sie fertig werden, weil es Zeit ist zum Fernsehen.

Ich genieße diese proletarische Phase meines Lebens. Die Arbeiter haben schon erreicht, dass ich nicht mehr bei jeder Gelegenheit eine Rede halte, die den Bogen spannt von Plato zur Berliner Curry-Wurst. Wie ich eingesehen habe ist das ja auch nur Herrschafts-Gehabe eines Bürgerlichen, der sein Wissen einsetzt als Waffe.

Jedenfalls beim Bier und bei den Frauen bin ich den Eisenflechtern stark unterlegen.

Trotzdem habe ich eine gewisse Position erreicht in der Kolonnen-Hierarchie, bin Stellvertreter des Schiebers, auch weil ich die Bauzeichnungen lesen kann und mit dem Polier verhandeln und auch erklären, warum die Bild-Zeitung gerade mal wieder lügt. Und ich hoffe, ich habe auch den Staatsanwälten ein wenig Arbeit gemacht.

Und als die Jungs einmal ihren Chef, den dicken Hoppe, absetzen wollen, führt der als seinen Verdienst an, dass er mich in die Kolonne geholt hat. Darauf ist er stolz und ich bin es auch. Ich komme auch mit der Mehrheit des Volkes klar, habe ich gelernt.

Aber es gibt Grenzen. Ich habe nie versucht, bei unseren Feiern den Frauen der Eisenflechter unter den Rock zu fassen. Die Männer halten mich deswegen für sehr zivilisiert, die Frauen aber für blöd.

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