Ich hatte 1973 große Fortschritte gemacht auf dem Weg zum normalen Staatsbürger. Durch die Alkoholkur bin ich wieder konkurrenzfähig und mit dem Finanzamt habe ich die Schulden geregelt, die Freundin bin ich los, auch die Drogen und ich habe einen Job, der so wenig einbringt, dass der Gerichtsvollzieher nicht pfänden kann. In einer Schilderfabrik bin ich jetzt Hilfsarbeiter und habe allen Grund, sehr still und bescheiden zu sein und fleißig und nett zu den Vorgesetzten, obwohl ich das immer als widernatürlich empfand. Und wenn ich ein braver Untergebener bleibe, dann schaffe ich es vielleicht zum Oberhilfsarbeiter. Ich passe also sehr auf, dass ich nicht, so als Rückfall in alte Zeiten, dem Chef beweise, wie wenig doch dazu gehört, Chef zu sein. Ich kaufe auf dem Schrottplatz sogar einen VW-Käfer und will unbedingt eine Wohnung, bei der die Türen schließen und es eine Heizung gibt. Alles, damit ich ein normaler Bundesbürger werde.

Meine Pläne gehen dann aber alle schief. Die Vorgesetzten schaffen es spielend, mit Einsatz ihrer ganzen Dummheit, mich jeden Tag bis zur Weißglut zu ärgern, so dass ich wieder entgleise und zurück bin in meiner vorrevolutionären Lebenshaltung: Ich gründe einen Betriebsrat, das Falscheste was ich tun kann, aber mein Chef spielt gut mit, ihm fällt noch was Falscheres ein, wie man das ja eigentlich erwarten kann von einem ehemaligen Jagdflieger, der erst schießt und fragt: auf wen?

Er entlässt mich fristlos.

 

Der Betrieb

Seit 1972 haben wir ein neues Betriebsverfassungsgesetz, das Betriebsräte besonders stark macht, um den Kommunisten zu zeigen, wie man einen kapitalistischen Weg zum Sozialstaat gehen kann. Das Arbeitsgericht hebt die fristlose Kündigung auf und ich bin wieder Hilfsarbeiter, was die unzufriedenen Mitarbeiter im Betrieb viel interessanter finden als Fernsehen. Sie machen mit.

Und nun gewinnt der Film deutlich an Action. Dem Chef fallen immer neue Dummheiten ein und bei der Gewerkschaft bekomme ich bald sowas wie eine Vollmacht, jeden Prozess zu führen, damit der Chef nur endlich merkt, dass der Krieg vorbei ist und die Zeit der Jagdflieger auch.

Zwei Jahre lang nutzen wir möglichst viele Paragrafen zum Streit, von der welterschütternden Frage des Proletariats, ob denn ein Betriebsrat ohne Erlaubnis des Chefs einen Zettel ans Schwarze Brett hängen darf, bis hin zu den Überstunden des Abteilungsleiters, der am Wochenende meine Wohnung beobachtet, ob ich vielleicht nicht doch mit Rosa Luxemburg im Halbdunkel konspiriere. In kurzer Zeit gelingt es, das Vertrauen in die Vorgesetzten auf Null zu bringen. So ist die Autorität der Autoritäten sehr bekleckert. Niemand der Mitarbeiter glaubt mehr, dass Leitende Angestellte zu irgendeiner Elite der Marktwirtschaft gehören, sie glauben vielmehr, dass sie vom Schrottplatz kommen, was dann schließlich auch andere Hilfsarbeiter im Betrieb ausnutzen, die mehr auf Wodka setzen als auf soziale Gerechtigkeit.

Das hat erstaunliche Auswirkungen.

Um diese Betriebsatmosphäre näher zu beschreiben und die miese Stimmung sollen hier zwei Beispiele erzählt werden:

eine kleine Slapstick-Einlage des Lackierers

kleine Geschichte einer Betriebsfeier

 

Das Ende des Hilfsarbeiters

Es musste ja so kommen. Die vielen Prozesse machen keinen Spaß mehr, der Chef lernt und ist auch nicht mehr so leicht zu schlagen. Und für die Beschäftigten wird der Kampf gegen das Kapital auch langweilig. Sie konzentrieren sich wieder mehr auf die normalen Vergnügen: Sex und Alkohol.

Ich hatte mir 1976 vorgenommen mit Ursel in Urlaub zu fahren. Sie war schon mal in Österreich. Es sollte ein Österreich-Gedächtnis-Urlaub mit neuem Mann werden.

Als der Chef keinen Urlaub geben will, hab ich gleich gekündigt. Es war Zeit.

Wir haben den alten VW voll gepackt mit Sachen, viel Extra-Motorenöl dazu für den qualmenden Motor und sind dann einfach losgefahren. Für Ursel war das neu. In ihrem früheren Leben wurde ein Urlaub rechtzeitig gebucht, die Zimmer, das Essen, wenn es ging auch das Wetter. Und nun fahren wir einfach los, nach Süden, hinter der bayerischen Grenze erstmal rechts ab und der Rest wird sich finden.

Wir schauen uns die Eingeborenen an in den Kneipen, alles urige Typen aus dem Heimatfilm, mehr Heimat als Verstand, aber spaßig. Es ist ein Abenteuer, solche Kneipen kennenzulernen, solche Wirtsleute der billigen Pensionen, in denen wir übernachten.

Der Kapitalismus ist nun weit weg.

Ich will einfach mal wieder was anderes machen.

zum Jahr 1976