Paul Glaser, Marquee-Club, 1966, Foto: Günter Zint

Paul Glaser, Marquee-Club, 1966, Foto: Günter Zint

Zint arbeitet für eine Jugendzeitung, die der Bravo Konkurrenz machen will und er be­quatscht die Leute von der Spesen-Kasse. Wir dürfen nach England fahren, um diese neue Be­wegung umzusetzen in Fotos, die umgesetzt werden können in Knete.

London ist eine Arbeiterstadt mit fish’n’chips-Buden und dunklen Straßen von Edgar Wallace. Es stinkt nach Pisse.

Wir gehen in die Musikschuppen, den Marquee-Club zum Beispiel, ein dreckiges dunkles Lokal, ganz vorn in der Szene. Überall Beat mit fast nackten Mädchen. Das ist die neue Explosions-Mischung für die Nach-Panzer-Gesellschaft: Beat und Sex.

Wir fahren mit Manfred Mann im Mini im nördlichen London herum, besuchen seine Fami­lie, stink-bürgerliches Haus, er sagt auch nichts Besonderes, aber er kommt in die Charts. Das Interview machen wir später in Hamburg und lesen ihm das vor. Er wundert sich ein wenig, was er alles gesagt hat, aber nicht schlecht, sagt er, nicht schlecht.

Wir müssen diese englischen Jungs anpassen an den deutschen Mief und die alten Nazis, die überall noch das Sagen haben. Aber die müssen das schlucken, weil es ja von unseren Freunden, unseren Verbündeten, unseren Mit-Kämpfern gegen den Kommunismus, kommt.  Das ist das Gute an den alten Nazis: Gehorchen haben sie gelernt.

Das ist in England anders. Wir erleben es in London und dann wollen wir auch in die Pro­vinz.

In Yorkshire lebt die Familie von Zints damaliger Freundin, die noch nicht seine erste Frau ist und nach einigen Scheidungen auch die Dritte wird. Dort erleben wir das ironische Arbeiter-England.

Wir fahren also in den englischen Kohlenpott, endlose Hütten, alle schwarz dreckig im  Weltreich-Slum-Stil. Weil jahrzehntelang nichts getan wurde ist die Tradition ziemlich stark.

Die traurigen Arbeiter-Klasse-Reihen-Haus-Schachteln werden nur unterbrochen durch wundervol­le Abraumhalden, an denen die Briten 100 Jahre gearbeitet haben.

Aber Arbeiterkneipen gibt es eine Menge. In den Pubs sind die rauen Typen, die einen be­schissenen deutschen Nazi lieber haben als einen britischen Besatzer von der Oxford-Uni­versität. Kohlenpott-Mentalität.

Wir stehen im Pub und die Schotten sagen: „Ah, aus Deutschland kommt ihr, da habt die Engländer ganz schön gebombt im letzten Krieg!“  Und ich sage: „Wenn du nicht n Stout ausgibst, kommen wir nochmal“, sage ich und sie geben ein Stout aus. „Haben Humor, diese Deutschen“, und nach den ersten fünf Stouts wird der Humor immer besser.

Die Leute in Yorkshire sind direkt wie im deutschen Kohlenpott und herzlich wie ein Koh­len-Schredder auf 600 Meter Tiefe. Wir bringen das deutsch-englische Verhältnis in Ordnung, das dauert noch mal fünf Stouts lang und als wir so richtig bei der Völkerverständigung sind, ist schon „Closing-Up“-Time. Das ist ein Begriff aus der anglikanischen Bibel und heißt: „Gleich gibt es nichts mehr zu trinken!“ Es wird meist übersetzt mit: „Sauft schnel­ler, Genossen!“

Als der Wirt das verkündet, bestellen wir alle noch 5 Pints, auf Vorrat. Die reichen bis Kneipen-Schluss.

Die Arbeiter kennen die Beatles: Its a hard days night, das kennen sie. Das ist schon Volkslied.

Noch erstaunlicher sind die englischen Hausfrauen, Wickelschürze und um die 40, kennen die neuesten Bands, singen die Beatles-Titel „Hej, Jude“ und sind voll drauf und schwin­gen die Zwei-Männer-Hüften dazu.

Das ist der Unterschied zu Deutschland: Im Kohlenpott, in Yorkshire, da reicht die Beat-Musik schon bis in die Wechseljahre.

Zint und ich sind elektrisiert. Da tut sich was in der Gesellschaft, da kommt was Neues.

Als wir zurück sind in Hamburg haben wir eine andere Sicht. Und wir sehen andere Dinge, haben andere Vibrations. Im Tagebuch notiere ich: Beat-Musik ist proletarisch. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen zu schreiben: Dutschke ist pro­letarisch.

Danny

Zu Zints Freundeskreis gehört auch Danny, ein Italiener, der nicht gern darüber spricht, wie er sein Geld verdient hat. Ihm gehört Dannys Pan, ein neuartiges Lokal, in dem Nicht-Könner Musik machen dürfen. Menschen wie du und ich, die es nicht gelernt, aber Spaß daran haben.

Sie treten auf für 10 Mark am Abend und es findet sich auch bald ein Publikum, das die Nase voll hat von den Profi-Musikern, dem Opern-Gejaule und „Ganz in Weiß“ , bei dem das Schmalz in den Hemd-Ausschnitt läuft und am Ende ist der Sänger ganz glitschig von Gefühl. Warum auch nicht?! Wir haben eine verlogene Gesellschaft, warum sollen die Schlager besser sein?

Bei Danny darf jeder trällern, Hauptsache nicht gekonnt.

Ich erzähle Danny von meiner großen Vision: Beat-Musik als Guerilla-Taktik gegen den Adenauer-Staat, zusammen mit der Pille und vielleicht auch Haschisch. Von Haschisch hält er nichts, zu riskant, da kennt er sich vielleicht aus. Und Guerilla ist Spinnerei, sagt er, rechnet sich nicht, aber sonst findet er die Ideen prima, sagt er.

Er schlägt vor, in Berlin ein neues Dannys Pan zu machen und dazu die erste Teestube in der Frontstadt. Die soll ich machen. Neu soll sie sein, Beat ist proletarisch. Psychedelisch soll sie sein, sehr bunt, für Typen, für jene Leute, vor denen die Bischöfe immer warnen.

Ich brauche noch ein halbes Jahr, bis ich mich selber überzeugt habe, dass ich regelmäßig arbeiten will. „Mach mal“ sagt Danny. Er hofft wohl, dass man die Ideen nicht so deutli­ch sehen wird.

Im Juni 1967 gebe ich das Studium auf oder die Freie Universität schmeißt mich raus.

Das ist gleich nach der Schah-Demo. Da hat sich vieles verändert für mich.

weiterlesen: zum Jahr 1966

ganz nach oben