Die schwedischen Zöllner an der Grenze haben den Weinbrand nicht gefunden. Wir hatten die Benzin-Kanister schön mit Öl beschmiert, sahen richtig dreckig aus, eben deutsch. Die feinen Beamten fassen so etwas nicht an. Es hat geklappt und unsere Reise ist also finanziert.

Wir fahren von Göteborg durch die flache süd-schwedische Landschaft mit den blonden Wiesen, blonden Wolken vor dem blass-blauen Himmel und vielen Kilometern Gegend und wieder  Gegend und kurz vor Norwegen biegen wir links ab nach Strömstad, eine kleine Stadt mit kleinem Hafen und jeder Menge schwedischer Familien während der Ferienzeit, die alle mindestens eine Tochter haben für uns.

Ich jobbe als Tellerwäscher im einzigen Hotel der kleinen Stadt, im La Holmen. Es ist ein Bau aus Holz, auch innen ist alles aus Holz, selbst die Schweden, die Gäste sind aus Holz, dazu Kötbullar, Kaffee, Alkohol-Verbot, Mädchen, kein lauter Ton. Auch die Kinder sind erzogen und schmeißen nicht mit Koteletts.

Die Töchter der Gäste, schwedische Schülerinnen, machen es wie wir. Sie arbeiten in den Ferien, sind Zimmermädchen, Kellnerin und immer auf der Suche nach einem Mann, den sie abhaken auf ihrer Liste, leistungsgesinnt, wie sie sind.

Die Eltern haben ein kleines Ferienhaus gemietet, eins aus Holz mit Veranda für den Liegestuhl, damit die Tochter unter Aufsicht ist, während sie lernt, Geld zu verdienen und Jungs aufzureißen.

Im Hotel gibt es viele Schülerinnen. Sie wollen alle was erleben, aber in der Stadt gibt es nicht viel außer Alkohol und Sex. Alkohol ist teuer, aber die Jungs kosten ja nichts. Da kann man einige ausprobieren, als Training, damit sie gute schwedische Ehefrauen werden, die das Leben kennen.

Ich arbeite in Schichten, immer sechs Stunden, dann habe ich Ferien für den Rest des Tages.

Vor meiner Arbeitsschicht muss ich Küchenkleidung anziehen, damit die Teller sich nicht infizieren. Es gibt einen Umkleideraum, in dem ein paar Bänke stehen, Blech-Schränke an den Wänden, eine nackte Glühbirne an der Decke. Er ist für Frauen und Männer. Wenn ich reinkomme, stehen die Mädchen da in Unterwäsche, schauen kurz hoch. Ich sage Hej und sie sagen auch Hej, dann tratschen sie weiter auf schwedisch.

Wir duzen uns alle, auch den Chef duzen wir. Wir sind in Schweden.

Unsere Schlafstelle haben wir unter dem Dach des Hotels, unter dem Blechdach, das heizt wie ein Grill. Die Mädchen haben kleine Zimmer mit einem Bett, ich schlafe mit anderen Jungs ein Stück weiter auf dem Boden unter den Dachsparren. Dort liegen unsere Schlafsäcke in einer Reihe auf alten schmutzigen Matratzen. Es ist genug Platz, um zu dritt oder viert eine Party zu feiern, ohne jemanden zu stören. Ich habe einen Stuhl als Nachttisch und kann stundenlang Tagebuch schreiben.

Durch Dachluken kommt das Tageslicht schon um 2 Uhr morgens und hält bis abends um 11, ich kann dann noch lesen, so hell ist es. Der ewige Tag macht einen verrückt. Und dazu die Möwen. Sie suchen sich genau meine Luke aus, um ihre morgendliche General-Debatte zu halten in endlosem Geschnatter, alle gleichzeitig.

Ich liege in meinem Schlafsack und denke an all die Mädchen, die ich versäumt habe. Schlafen kann ich nicht. Abends ist es zu heiß unterm Dach und erst am Mor­gen wird es kühler, dann ist es schon zu hell zum Schlafen. Es ist nicht gut, wenn man allein schläft und ohne Alkohol.

Ich habe gerade meine Proust-Phase und schreibe viele kleine Details ins Tagebuch, bis zur ausgedrückten Zigaretten-Kippe in 5 Zeilen mit drei Abschweifungen und 6 Zeilen Tiefsinn. Es passt zum Möwen-Chor.

Die Arbeitszeiten sind kurz und ich habe genug Zeit für das Studieren dieses seltsamen Volks.

Es ist schon weit weg von unserem deutschen Mittelalter, das ich Adenauer-Zeit nenne. Mit alten Männern, alten Nazis, altdeutschen Sitten und einem alten Bischof im Fernsehen, der das Ende der Welt befürchtet, wenn die Kirchensteuer nicht erhöht wird.

Schweden dagegen ist für mich Zukunft, alles vernünftig, alles logisch, alles ohne Aufregung. Wenn ein Sexualmörder gefasst wird ruft niemand nach der Todesstrafe, son­dern alle nach dem Psychiater.

Es gibt nur zwei Steuerklassen, hoch und niedrig, für alle gleich. Wer gute Gründe angibt be­kommt einen Rabatt. Ich bekomme Rabatt, weil ich nur kurz hier bin und dem Staat nicht auf der Tasche liege. Ich bekomme alle Steuern zurück, wenn ich wieder verschwinde.

Und auch beim Flirt ist alles vernünftig. Es ist nicht nötig, ein Mädchen einzuladen zur Brief­markensammlung oder einer Beatles-Platte, es abzufüllen mit Alkohol, all diese Tarngeschichten, die wir in Deutschland brauchen. Ich muss dem Mädchen auch keine großen Opern erzählen von Liebe und Ewigkeit. Ich muss nur einen vernünftigen Vorschlag machen, wie wir zu zweit die nächsten drei Stunden verbringen wollen.

Naja, sagt sie und sieht sich um, naja, es ist niemand sonst greifbar und so sagt sie: Ich heiße Fia, und wir gehen zusammen weg.

Es gibt, wie überall, für den Flirt eingespielte Verfahren und Bühnen. In Strömstad ist die Bühne am Hafen, da wo die Passagier aussteigen, an einem kleinen Platz, das ist die Sex-Börse am Abend.

Die Jungs fahren im Auto immer im Kreis und rufen: na, wie ist es? Die Mädchen schauen sich die Typen an und sagen sich: „Mal abwarten.“ Und nach einigen weiteren Autokurven sagen sie sich: Besser wird‘s nicht. Dann steigen sie bei irgendjemandem ein, damit die Nacht auch irgend einen Sinn bekommt.

Das nennt man in der Evolutions-Wissenschaft die sexuelle Auslese. Der mit dem größten Auto kriegt die Braut, außer es ist einer da, der Gitarre spielen kann. Da braucht man schon einen Sportwagen, um zu konkurrieren.

Die zweite große Bühne für die Abendvorstellung ist die Anlegestelle am Hafen, Platz für 2 Fähren. Fia und ich stellen uns zu den anderen Zuschauern für die abendliche Sittenschau.

Dann kommt das Boot.

Es hat vor einigen Stunden die Fahrgäste eingesammelt und ist dann einfach geradeaus auf der See gefahren, so an die drei Meilen, bis hinter die Zollgrenze, da fängt das Ausland an und die schwedischen Alkohol-Gesetze hören auf.

Die Passagiere lassen sich dann, so schnell wie es nur geht, volllaufen mit Bier und Schnaps und Likör. Damit es schneller geht, alles durcheinander.

Mitneh­men zum Hafen sollte man nichts, das muss verzollt werden oder es ist verboten. Aber wer schnell alles durcheinander trinkt, schafft es auch besoffen zu werden. Bewährt sind Wodka mit Likör, dann harter Wodka mit süßem Rum und rotem Likör. Vielleicht auch was von dem billigen Wein, der wie gekocht schmeckt und damit man das alles nicht so sehr merkt, sollte man ein Bier Klasse 1 dazu trinken. Und all das solange eine Kellnerin noch was bringt. Also Tempo! Heja Sverige!

Hallo, Herr Kapitän. Wir sind soweit.

Er schaut auf seine Fahrgäste und dann auf den Umsatz. Wir können zurückfahren, sagt er.

Im Hafen legt die Fähre an, die Pas­sagiere verlassen das Boot über die Gangway. Dabei kommt es darauf an, einigermaßen aufrecht an Land zu kommen. Wer kriecht gilt als hilflose Person und wird von der Polizei in die Ausnüchterungszelle gebracht. Er bekommt einen Stempel in die Papiere. Wenn er genug Stempel hat, darf er keinen Alkohol mehr kaufen im System Bolaget, dem staatlichen Alkohol-Laden, wo man den Ausweis vorzeigen muss.

Die Polizei und nimmt allen den nicht verbrauchten Alkohol weg oder man muss ihn verzollen. Die Beamten stehen rechts und links von der Gangway und entscheiden, ob jemand ein mündiger Staatsbürger ist oder ein besoffe­ner hilfloser Schwede. Letzteren muss sie schützen vor sich selber, damit er nicht vor ein Auto fällt oder sich im Mondschein verirrt. In der Zelle darf er dann ausschlafen. Das gibt der Polizei einen Sinn und zeigt, wie praktisch ein geordneter Rechtsstaat ist.

Um solche staatliche Fürsorge zu vermeiden, halten die Schweden zusammen.

Die Mädchen haken ihren Jungen unter und schleppen ihn, sturzbesoffen, die Rampe runter und helfen ihm, ein Bein vor das andere zu setzen. Er ist zwar nicht mehr brauchbar fürs Bett, aber vielleicht morgen wieder. Die Polizei schaut zu und das Publikum bewundert die Leistung der schwedischen Frauen. Niemand fällt heute Abend ins Wasser.

Wenn die Mädchen ihren Freund an Land geschleppt haben, legen sie den Haufen Mann auf einer Bank ab, manche schaffen es auch noch in die Büsche mit ihm für eine Good-Bye-Nummer, aber meist haben die Frauen nichts davon, weil der Junge nicht mehr weiß, wo beim Mädchen oben und unten ist, er nicht ste­hen kann und auch sonst nichts.

Die Mädchen schalten dann einfach um auf Krankenschwester, damit der Abend nicht ganz sinnlos ist.

zum Jahr 1964

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