Ursel und Paul: Reise nach Bayern
(aus dem Tagebuch)
FREITAG, 3O.7.1976
Wir wollen nach Bayern fahren in Urlaub oder nach Österreich. Eigentlich ja nach Amsterdam, jedenfalls wollen wir fahren.
Eine Woche lang repariere ich den alten VW, den ich vom Schrottplatz gekauft habe.
Dann kaufe ich noch einige Liter Motor-Öl für den qualmenden Motor.
Wir packen die Koffer.
Es soll unser erster gemeinsamer Urlaub werden, für mich ein erster Urlaub im normalen Leben, nach der langen Gammelzeit.
Zwei Stunden vor Abfahrt verweigert die Firma meinen Urlaub. Es ist der alte Kampf, der nun schon 3 Jahre anhält: Betriebsrat, das bin ich, gegen den Kapitalismus, das ist die Geschäftsleitung. Wir haben Dutzende Prozesse geführt, ich habe alle gewonnen.
Nun wollen sie mich ärgern.
Ich schreibe also Briefe, sichere juristische Positionen ab für den nächsten Prozess, schreibe noch mehr Briefe, telefoniere mit der Gewerkschaft. Ich habe die Nase voll von der Firma.
Der Chef sagt: Kein Urlaub und ich sage ihm: selbst wenn es keinen Urlaub gibt, werde ich in Urlaub fahren.
Bis weit in den Abend heißt es: Gesetze nachschlagen, Briefe schreiben, telefonieren. Ich habe die Nase voll vom Klassenkampf. Er kostet zu viel Zeit.
DER NÄCHSTE TAG
Um acht Uhr fahren wir los, acht Uhr abends.
Natürlich keine Urlaubsstimmung, sondern Kampfstimmung, Trotzstimmung.
Wir nehmen Bücher mit: Watergate, Simmel, Reiseführer.
Wir haben keinen Plan. Eigentlich wollen wir ja nach Amsterdam. Vielleicht kleiner Umweg über Hamburg, Zint treffen.
Aber er hat angerufen, er ist in der Gegend von München. Also fahren wir nach Süden. Hinter der Grenze bei Hof wollen wir rechts abbiegen. Dann sehen wir weiter.
Autobahn-Ausfahrt Bayern
Um Mitternacht sind wir in Naila, Bayern. Die Stadt ist so, wie sie heißt.
Wir finden drei offene Kneipen im Ort neben der Kirche.
In der ersten stinkt’s zu sehr nach Pizza, die andere ist zu langweilig, in der dritten scheint der Nailaer Untergrund zu verkehren. Der Wirt ist besoffen, einige Gäste haben Bärte. Ein besoffener Typ, der damals schon mal nach Stalingrad marschiert ist, singt schmutzige Lieder. Man lacht. Wir trinken schnell hintereinander einige Schnäpse. Das macht die Stimmung lockerer, mehr Richtung Urlaub.
Ursel. fährt. Ich bin müde, schlafe sofort ein auf dem Beifahrersitz.
Irgendwo hinter Kronach halten wir, verteilen Arme, Beine und Kopf in dem engen Auto, um im Halbschlaf ein wenig zu dösen. Romantik der Landstraße.
„On the road again“, Morgens haben wir Augenringe und ein steifes Genick.
Weiterfahrt nach Lohr, 2 Übernachtungen bei Bauer Grundel. Die Oma bringt uns im Nebengebäude unter, an der Straße nach Donauwörth.
Oma hält mich für Ursels Vater. Ist sehr christlich diese Oma, aber bei den Großstädtern scheint sie alles für möglich zu halten, auch dass Vater und Tochter ein Doppelzimmer nehmen.
IN FRANKEN: LOHR
Um 21:00 Uhr am Rathaus. In kleiner Kneipe am grünen Markt ein Bier, ein Schinken-Brot. Dann beschließen wir lieber eine Dorfkneipe zu suchen, mit weniger Tourismus.
Alles ist still in den Dörfern, nur selten noch ein Fenster erleuchtet. In Gebsattel soll alte Fürstenresidenz sein, außer einem Betrunkenen auf der Straße kein Mensch.
In Lohr gibt es neben dem Ochsenwirt für die Touristen noch eine Bauernkneipe.
Auf dem geölten Bretterboden stehen Holztische und Stühle, eben das finstere Landleben.
Ein Kohleofen für den Winter, siebzehn Bauern sitzen um zwei Holztische, ein Bier vor sich und schweigen ihr alt-fränkisches Schweigen.
Sie können das lange durchhalten, in Lohr das Schweigen, in Lohr, bei den Bauern, die um Tische herum sitzen.
Dann die Sensation. Dann kommt Ursel herein. Eine Frau! In einer fränkischen Kneipe! Ganz klar von weit weg, diese Frau.
Wir bestellen Bier und unterhalten uns ziemlich laut. Die Bauern wollen nicht zurück stehen, langsam fangen sie ein Gespräch an unter sich. Einem von ihnen ist der „ganze Weizen verbrennt“. Ojemineh! Dann schweigen sie wieder. Genug von dem Gequatsche!
Auch ganz junge Bauern sitzen da, man kann sich vorstellen, wie die im Alter aussehen – genau wie ihre Väter. Und dann zahlt sie auch noch, nicht der Mann zahlt, die Frau zahlt. Habt ihr das gesehen! Die Frau zahlt. 17 Bauern haben es gesehen, in Lohr.
Wir gehen schlafen.
SONNTAG, 1. AUGUST 1976
Wir frühstücken uns richtig müde. Verschiedene Sorten Brot, Ei, Butter, Marmelade, Aufschnittplatte bestehend aus Preßsack, Leberwurst, Bierschinken, geräuchertem Schinken, Kaffee und ein halber Liter Milch für Ursel. Damit können wir einen Tag lang den Pflug ziehen. Machen wir aber nicht. Wir machen eine Stadtbesichtigung in Rothenburg.
Wir laufen an der Stadtmauer lang, an der Wehr-Kapelle, kostet Eintritt. Das ist die Entwicklung von der Religion zum Tourismus. Wir verzichten. Wir nehmen den Liebengott nur kostenlos.
Dann fahren wir über Land, nach Norden, über Weikersheim. Der Ort ist so, wie er heißt.
Wir trinken je zwei Glas Wein vorm Schloss und reden mit Leuten über unser nächstes Ziel, Bad Mergentheim und die Bauernkriege. Sie haben damals ihre Adligen verbrannt, Fürst Heinrich den Brennbaren und den katholischen Steuer-Eintreiber, auch den Klingelbeutel.
Hat nicht viel genutzt, die Bauern sind alle erschlagen worden.
Luther fand das richtig. Er hieß jahrhundertelang der „Bauernschlächter“ deswegen.
Deutsche Geschichte, wohin man auch tritt, alles voll Leichen. Überall hat schon mal Jemand gebrannt oder er gevierteilt worden. Deutsche Geschichte.
BAD MERGENTHEIN
Also auf nach Bad Mergentheim. Solche Städte fangen immer mit einem Schloss an, viel Geschichte, deutsche Kultur, auch ein guter Ort zum Pinkeln.
Danach eine Stunde lang Bauernkriege, die uns hungrig machen.
Die Restaurants sind neu-modisch und ungemütlich, wir suchen was Altfränkisches mit Bauernkrieg an der Wand oder einem Pfingst-Ochsen oder wenigstens einen Bischof.
Aber wir finden überall nur Umsatz-Lokale und fahren weiter nach Würzburg.
WÜRZBURG
Da gibt es auch keine Bauernkriege zum Abend-Essen. Wir wechseln deswegen die Seiten und essen in der Residenz, beim Adel, im . Prächtiger Bau. Wir können uns richtig vorstellen, wie viele Bauern verprügelt wurden, bis alle Steine geschleppt waren.
Das Essen ist gut.
Rückfahrt geht über Tauberbischofsheim.
Dort ist alles bereit für den Empfang der Olympiasieger, die Fechter. Der kleine Ort hat sich auf Degenfechten verlegt.
Die Tauberbischofsheim-Hochleistungs-Olympia-Degen-Stecher haben Medaillen geholt. Der Ort feiert. Medaillen sind gut für den Umsatz.
Wir fahren zurück nach Bad Mergentheim ins Mittelalter. Das ist heute konzentriert auf den Rummelplatz mit Gespensterbahn. Aber da schlachten keine Adligen die Bauern, dort sind amerikanische Gespenster von der Sorte, die 1945 Würzburg zerbombt haben.
Alles voll Geschichte hier.
Wir essen in Würzburg Schwarzwälder Schinken, dann fahren wir nach Rothenburg. Noch je zwei Bier und zwei Obstler, ein Brot mit Schwarzwälder Schinken. Nicht schlecht, das Mittelalter, es schmeckt. Heimfahrt nach Lohr.
TEUFEL
In der „Bild am Sonntag“ wird über eine Teufels-Austreibung in Unterfranken berichtet. Die katholische Kirche hat dafür hauptberufliche Facharbeiter, Exorzisten.
Sie treiben jeden Teufel aus.
MONTAG, 2. AUGUST 1976
Wir stehen ziemlich spät auf. Zum Frühstück müssen wir, wie immer, durch die Scheune. Wieder ist das Essen Klasse und unsere gute Laune treibt uns zu Scherzen mit der Tochter des Hauses. Wir machen einen Deal. Gegen starkes Lob für das gute Frühstück erzählt die Wirtin uns was, und erzählt, erzählt, erzählt. Wir haben vergessen, was sie erzählt hat, aber es war sehr lieb.
Wir machen noch ein Abschiedsfoto und fahren dann weiter in Richtung Dinkelsbühl, wo wir viele Fotos machen und dann einen Metzger suchen mit Essens-Zeug für Picknick auf dem Weg nach Nördlingen.
Wir sitzen irgendwo am Straßenrand an einem Tisch.
Paul fragt: wollen wir picknicken oder essen wir erst was?
Ich bin für beides, sagt Ursel.
Autobahn-Ausfahrt Bayern
Jemand hat uns, als Service, extra eine Burg als Kulisse hingestellt.
Wir beschließen, uns beim Tourismus-Büro dafür zu bedanken.
Unsere Stimmung ist nun schon urlaubsmäßig, langsam finden wir die Reise gut.
MÜNCHEN
Wir kommen in München an und verlassen es möglichst schnell wieder in Richtung Schwabing.
Dort gehen wir gleich ins , ein Café, das Paul aus seiner Studentenzeit 1961 noch kennt. Er war damals noch Genie und konnte bei nur einem Kaffee den ganzen Vormittag die Welt erklären. damals, im .
Nach den blumigen Erzählungen ist Ursel nun ziemlich enttäuscht. Es ist ein ganz normales Café. Nirgendwo ein Genie.
Wir suchen eine Pension. Paul will unbedingt in der Hohenzollernstraße eine suchen, aus Nostalgie, da hat er mal gewohnt auf einem Treppen-Absatz.
Vor einer Absteige steht eine Nutte, die 35 Mark will. Zu teuer. Auch die nächste Pension ist zu teuer. Bei der übernächsten gefällt Ursel die Wirtin nicht und die folgende Pension in der Adelheidstraße heißt , und davor ist eine U-Bahn-Baustelle und das Zimmer ist auch so. Aber es ist billig.
Wir machen dann einen Abend-Bummel durch Schwabing. „Schau mal“!
Wieder Paul-Nostalgie. Er hat damals im Auto geschlafen, einem Fiat Toppolino, der schon zum Sitzen zu eng ist. Die Schuhe hat Paul nachts unter das Auto gestellt. Morgens musste er diese Wohnung verlassen, weil Günter Zint damit zu Arbeit gefahren ist.
Ursel ist schwer entsetzt, wie vergammelt alles ist. Dann sitzen wir in der Nachtbar, in der, auch Nostalgie, muss man zum Bier einen Klaren bestellen. Die Band ist ganz gut und Paul klaut die Speisekarte aus Nostalgie, wie damals, als er kein Geld hatte.
Die Bar sieht nur halb so groß aus wie in Pauls gesammelten Geschichten. Das Gute an der Kneipe ist, dass die Wirtin zum Schluss sagt, wir hätten schon bezahlt und Paul ihr aus Höflichkeit nicht widerspricht.
Dann finden wir endlich eine Kneipe mit Flipper, so dass wir uns nicht die Leute angucken müssen. Ursel gewinnt sehr oft, das liegt am Obstler, sagt sie.
Paul diskutiert mit einem Türken über die Vorzüge der niederanatolischen Blutrache- Kultur, mit der die Justiz-Kosten niedrig gehalten werden.
Beim Abschied sagt der Wirt leise Servus und da merken wir den Unterschied zu Berlin.
DIENSTAG, 3. AUGUST 1976
Wir stehen wieder spät auf und essen das schlechte Frühstück, fünf hauch-dünne Scheiben Wurst für zwei Personen. Aber immerhin wird uns nicht schlecht davon.
Wir fahren zur Frauenkirche, bummeln über den Viktualienmarkt, wo wir, in Erinnerung an Lohr, fränkisch einkaufen und dazu mexikanische Pepperoni und hocken uns nieder an einem Bierstand, an dem die Krüge in ein Fass getunkt werden zur Reinigung. Dafür ist das Bier warm, aber bei der bayrischen Plärre macht das keinen Unterschied.
Ein typischer Bayer
Wir beobachten die Leute ringsum und vergeben Preise für den dicksten, den dümmsten und den nüchternsten Bayern. Beim letzteren Preis gibt es Probleme.
In der Abendzeitung wird weiter über die Teufels-Austreibung berichtet. Der katholische Priester, der Austreiber, kannte jeden Teufel beim Namen und er hat die Teufel laut angebrüllt.
Einer hieß Hitler. Der Priester hat sie alle geduzt, sie aber haben zu ihm „Sie“ gesagt, wahrscheinlich weil er eine höhere Gehaltsklasse hatte.
Alle Teufel haben auf schwäbisch geantwortet: sie dächten nicht daran, das infizierte Mädchen zu verlassen.
Ein paar Menschen, die keinen Sinn hatten für die Komik der Religion, haben den Würzburger Bischof angezeigt, wohl wegen Blödheit, aber weil das ja nicht strafbar ist, wurden die Anzeigen niedergeschlagen.
Wir sehen langsam ein, dass Bayern ein Kulturstaat ist, bekloppt, aber mit Leber-Knödel.
München
Ursel will irgendwas in München kaufen und Paul warnt, dass man nirgendwo angeben kann mit Sachen, die man in München gekauft hat.
Vor einem Kaufhaus in der Kaufinger Straße spielt ein Stallknecht Zither, die traurige Geschichte, wie er über Nacht von seiner Alm herunter getrieben wurde, nicht mal die Lederhose konnte er mit nehmen, und nun muss er für die bayrische Kultur im Nieselregen spielen das Lied vom dem Stall-Knecht, der von der Alm getrieben wurde, nicht mal die Lederhose konnte er mitnehmen.
Es kann aber auch sein, dass er was ganz anderes gesungen hat. Das Lied hatte keine Untertitel.
Bummel durch Kaufhäuser an der Kaufinger- und Neuhauserstraße, Ursel will unbedingt, unbedingt was kaufen. Tendenz ist lustlos. Sommer-Schluss-Verkauf, die Sachen, überall Sachen, die in Berlin bei Woolworth auf dem Krabbeltisch liegen.
Als wir zum Auto kommen, haben wir einen Strafzettel dran.
Am Abend telefonieren wir.
Zint ist jetzt in Hamburg. Uns bleibt aber noch der Suff.
Also gehen wir ins „Hackerbräu“, trinken Bier mit Obstler, dann Obstler mit Bier und essen dazu Grillwürste mit Obstler. Da sieht München schon ganz erträglich aus.
Endlich: Bernd ist da! Das ist einer, der damals, als Paul noch Genie war, auch Genie war.
Wir ziehen zusammen weiter, aus Nostalgie. Paul und Bernd unterhalten sich, lautstark und gleichzeitig, während Ursel eine Krautplatte isst.
Sobald Paul und Bernd aufhören zu reden trinken sie Bier. Ursel nimmt Enzian.
Bernd sagt, dass er sich Sorgen macht, weil der Bernd so viel säuft und dass er schon manchmal nicht mehr weiß, warum er unzufrieden ist mit dem Leben.
Er hat mal Philosophie studiert.
Aufhören mit dem Alkohol? Das kann er auch morgen, heute haben wir noch eine lange Liste von Nostalgie-Kneipen auf der Liste.
Wir fangen an mit der Liste. Wir müssen schnell die vorgeschriebene Menge Bier trinken, denn in München dürfen mündige Bürger nur bis 12 Uhr saufen, danach ist Sperrstunde und alles ist Sünde. Es gibt aber Ausnahmen und so gehen wir ins nächste Lokal.
Es ist eine Tiefgarage mit Holztischen und 1000 Leuten, die alle gleichzeitig reden.
Dazu trinken sie Bier.
Wir suchen einen Platz in der Nähe der Toilette, denn das dünne bayerische Bier läuft schneller raus als man es trinken kann.
In dieser Kneipe reicht es, die Hand zu heben und „3 Mal“ zu rufen. Schon bringt die breitbusige Kellnerin drei Maß Bier und drei Mal Weißwurst, die aussehen, als seien sie schon einmal gegessen worden.
Aber wir wollen uns nicht beklagen. Wir sind erfolgreich besoffen geworden und merken deswegen unser Hotelzimmer nicht mehr.
Mittwoch, 4. August 1976
Wir freuen uns schon auf das miese Frühstück, das noch mickriger ist, weil uns die Haushälterin die Entstehungsgeschichte des Hauses erzählt.
Paul lobt sie wegen ihres guten Englisch und sie sagt, das ist kein Englisch, das ist Bayerisch.
Wir wollen uns in München nichts ersparen und gehen ins Hofbräuhaus, wo die Gäste, so haben wir gelesen, unter den Tisch pinkeln dürfen, wenn sie genug Umsatz gemacht haben.
Wir lesen die TZ.
Immer noch die gleichen Themen. Bei der Teufelsaustreibung beruhigt sich nichts.
Der Bischof sagt was und das Volk sagt was und die Politik sagt: das sind nur Einzelfälle.
Wir bestellen eine Maß. Mehr ist nicht zu sagen über das Hofbräuhaus.
Als wir zum Auto kommen, steckt kein Strafzettel. an der Scheibe.
Wir verlassen München und zum Abschied singen wir: Gott schütze Bayern, obwohl die Landes-Hymne. Das ist die hoch-deutsche Version, die bayerische heißt: Ich treib dich aus, du Satan, sacri-herr-gott-nochmal-sau-preiß-damischer, noch a Maß! du votzn!
DIE ALPEN
In Bad Tölz kaufen wir ein für ein Picknick und einen Fettstift für Ursels spröde Lippen, die vom Obstler ganz ausgelaugt sind.
Die Wolken hängen auf den Bergen, und, gerade als wir da sind, kommen sie runter und laden den Regen über uns ab, ringsum Unwetter.
Wir halten und machen das Beste draus, essen erst mal was und picknicken dann. Es ist eng im Auto, aber wir haben Routine.
Danach sieht das Wetter schon freundlicher aus.
In Tegernsee ist Stau und wir fahren nach Bad Wiessee, wo auch Stau ist und in Rottach-Egern ist ein großer Stau, aber das Wetter ist schön geworden.
Am Achenpass ist sicher kein Stau, sagt Ursel und so fahren wir zum Achenpass, Das ist schon Österreich und an der Grenze ist Stau. Wir haben kein D-Schild am Auto, aber die Zöllner lassen uns ohne D ins Land, wo wieder schlechtes Wetter ist.
Zeit für Picknick, sagt Ursel. Du darfst mich nicht überfordern, sagt Paul und wir essen nur.
Am Achensee fotografiert Paul den schönen Regen und den Nebel. Da können wir zu Hause mit Filz-Stift in die Fotos den Achenpass malen, sagt Paul.
Ursel hört im Radio „Ein Bett im Kornfeld“, damals ihr Lieblings-Träller, aber kein praktischer Vorschlag, weil es immer noch regnet.
In Jenbach finden wir ein winziges Zimmer, hinter der Waschküche, Klo einen Stock höher, aber ganz gemütlich, wenn wir, sagen wir mal, jeder 5 Flaschen Bier trinken. Und Obstler, sagt Ursel. Der heißt hier Bauernschnaps.
Dann gehen wir ins Dorf und schauen uns die Eingeborenen an.
Als wir uns genug amüsiert haben, gehen wir schlafen.
Donnerstag, 5. August 1976
Beim Frühstück sitzt an unserem Tisch ein Ex-Berliner mit Frau und Hund, die alle drei in Celle wohnen.
Wir vergleichen Berlin mit Celle, aber die Berliner verstehen keinen Spaß und sagen, dass sie sich in Celle sehr wohl fühlen und dass ihr Sohn schon zum Feldwebel befördert ist, obwohl er doch als Kriegsdienstverweigerer angefangen hat.
Aber Sie glauben gar nicht was der Junge verdient, sagen die Berliner und wir versichern, dass wir das sehr wohl glauben.
Wir wollen nach Salzburg über möglichst hohe Berge, wie sie in den Prospekten abgedruckt sind, mit Gemsen und einer Alm voller nackter Weiber sowie auch Ziegen.
In einem kleinen Kaff kaufen wir einen Korkenzieher und eine Flasche Wein.
Ursel betrügt die Kassiererin. Sie hat 26 Jahre gebraucht, bis sie das gelernt hat.
Wir machen mal schnell einen Abstecher nach Fieberbrunn.
Dieser Ort ist sehr berühmt, weil Ursel dort mal als junges Mädchen den Berg runter gerutscht ist.
Steil war das, du glaubst gar nicht wie steil das war, sagt Ursel und wir nehmen Anlauf und fahren mit dem VW-Käfer hoch. Es ist wirklich steil, du glaubst nicht, wie steil das ist, sagt der VW-Käfer und bockt.
Embach
Hier war das Café, in dem Ursel war und dort der Lift, der sie auf den Berg gezogen hat, bevor sie runter gerutscht ist und
links, hinterm Berg, war mal ein Trecker mit einem sehr gut aussehenden jungen Burschen drauf, der, glaube ich, sagt Ursel, gerade Mist gefahren hat. Er sah gut aus, der Bursche, sagt Ursel.
Paul wundert das nicht. In Österreich gibt es kaum einen Mist ohne einen gut aussehenden jungen Burschen.
Ursel ist eingeschnappt. Sie hätte sich ein wenig Eifersucht erwartet.
Ringsum sind die Berge so hoch, du glaubst nicht, wie hoch die Berge ringsum sind und so steil, sagt Ursel. Ist das nicht herrlich!
„Wenn sie in Berlin wären, wären sie noch höher“ sagt Paul und dann sehen wir durch ein Fernrohr und ein automatischer Österreicher erzählt, wie toll das alles ist. Paul findet das übertrieben, weil die Wolken bis zum Fernrohr runter hängen. Du hast wirklich keine Phantasie, sagt Ursel.
Es nieselt, es ist kalt und wir sind ganz allein hier oben, der ganze Haufen Welt liegt zu unseren Füßen, der Nebel rückt alles noch weiter weg, wir sind gelöst, glücklich, hoch über allem.
Ursel hat ihre dünnen Riehmchen-Schuhe an und stapft durch das nasse Gras und damit sie sich nicht erkältet, kriegt sie von Paul einen Kuss.
Na, ist das nicht Klasse hier oben? Und dieses herrliche kalte
Wetter machen sie nur, damit wir
Glühwein trinken, sagt Paul.
Wir fahren zur Ski-Hütte und trinken Glühwein.
Zwei Bayern streiten sich heftig, sie lehnen jede Verantwortung ab. Es war der Wind, sagen sie. „Der Wind hat zwoa Türn naus ghaut“ sagen sie und der Wirt bringt eine neue Lage Glühwein.
Ursel begeistert sich fürs Skifahren, weil sie sich schon früher, als junges Mädchen, fürs Ski-Fahren begeistert hat.
Sie zeigt, wie man das macht.
Erstmal stehen lernen auf den Brettern und dann 2 m lange Abfahrten. Wenn man die überstanden hat: Dann lernt man Kurven fahren, je mehr Glühwein wir trinken, desto rasanter werden die Kurven.
Wir beschließen, dass Ursel den Berg runterrast und ich im Hotel schon mal den Gips anrühre.
Vorher, sagt Paul, kümmere ich mich um die Kurven unter der Bluse, sagt Paul und Ursel sagt: erst wenn wir diesen wirklich hervorragenden Glühwein zu Ende getrunken haben.
Prost, sagt Paul. Prost, sagt Ursel.
Und dann gehen wir Kurven fahren, während der Fernseher erklärt, was Österreich doch für ein herrliches Land ist.
Das ist ein Wildschütz. Davon gibt es in Tirol sehr viele, meist als Gasthaus.
Thalgau
In Thalgau hat eine uralte Bauernkate schmiedeeiserne Gitter vor den Fenstern, die winzig kleine Scheiben haben. Die Decke ist niedrig und auf die Wand sind Blumen gerollert nach dem Kunst-Stil der Ost-Goten, die hier einst übernachtet haben.
Wir finden das gemütlich, und holen zwei Schnapsgläser für den Obstler, denn wir sind gestern nicht fertig geworden mit dem Kurven-Ski-Fahren, weil Paul unterwegs eingeschlafen ist.
Danach gehen wir essen.
Es soll ein Wirtshaus geben mit Zwiebel-Rostbraten, hat der österreichische Geheimsender berichtet.
Wir laufen durch den lang gestreckten Ort im Dunkeln, wie es sich gehört für natur-nahen Urlaub. Ganz überraschend hat es angefangen zu nieseln. In der Kneipe gibt’s nichts mehr zu essen, aber „Versuchen Sie’s mal beim Schwabenwirt“. Dort will ein Tourist anbändeln mit der Kellnerin, die behauptet, dass sie noch nicht Feierabend hat.
Und der Dorf-Säufer gibt ihr recht und beschimpft den Touristen, der nicht warten will bis Feierabend. „Du Arsch, Du gscherter, du Sau, dreckerte“ sagt er, nimmt dann einen großen Schluck aus dem Bierkrug und die Wirtin sagt: „Holt dei Guschn“.
Die folgende Stille ist schwer zu ertragen und einige Eingeborene fangen mit Politik an.
„Euer Strauß, dös is oane Sau, is dös, woaßt!“ Ich würde ihm gerne recht geben, aber es dauert, bis ich das ins Deutsche übersetzt habe. Aber weil sich alle einig sind, kann kein richtiger Streit nicht entstehen, Hoast mi? Dabei ist eine Klopperei vom Tourismus-Büro versprochen.
Wir gehen schlafen.
Der Morgen
Am Morgen scheint wieder die Sonne, aber wir sind misstrauisch. Sobald wir aus dem Haus treten, sagt Paul, fängt es wieder an zu nieseln und die Preise für Glühwein werden erhöht.
Paul fotografiert den Bauern, der schnell noch die Zipfelmütze abnimmt. Die Bäuerin erzählt, obwohl Paul nur Stummfilm macht, eine schreckliche Schauergeschichte von einem Berliner Ferienkind. Das hat gesagt: „Willst du nicht meine Mutter sein? Die Eltern haben’s ghaut bis das Blut die Augen runter g‘rannt ist.“
Sie zeigt die Ströme von Blut, zwei Arme breit, ist es runter gerannt und sie hat gesagt: „Schleichts euch“, hat sie die Eltern angebrüllt. Sie wollte das Mädchen adoptieren, damals, als sie diesen Mann noch nicht hatte, der neben ihr sitzt, und so ist das Berliner Kind nach Australien gekommen.
Wir zeigen mächtig Mitgefühl. Das Berliner Paar am Tisch rätselt, ob die Geschichte gegen sie ging.
Wir haben auch nur jedes dritte Wort verstanden, aber immer an der richtigen Stelle genickt und Paul hat, als er die Marmelade auf die Semmel schmierte, sogar grimmig geguckt.
Als wir fahren, steht die Bäuerin am Straßenrand und winkt. „Feine Leit soan das“, soll das heißen. Wir winken auch. Man darf die Eingeborenen nicht reizen.
Salzburg
In Salzburg fahren wir gleich ins Parkhaus, weil das billiger ist als eine Verwarnung. Dann besuchen wir die Stadt:
Mozart, Eintritts-Kasse, Amerikaner, Schaukasten mit Mozart, Linzer Gasse, Knödelhütte, Mozart- Schokolade, Kasse, eine Tasse mit Mozart, Pinkeln, dann Mozart auf Bier-Krug, alles voll Kultur in Salzburg.
Rückweg dann über Getreidegasse, Mozart-Genie, Residenz, Residenzplatz, Dom, Jedermann Festspiele, Mozart-Konzert, Kasse, Mozart-Kugeln, Stroh-Rum mit einem Franz-Joseph, Mozart-Parkhaus. Geschafft.
Salzburg ist wirklich eine schöne Stadt.
Wieder in München, 6. August
Heute sind keine Bayern in Schwabing.
Bräustüberl, Englischer Garten, Türkenstraße, Kneipe alter Simpel, Schwabing-Mutti-Bräu, flippern.
Schwabinger Nest, Nachteule.
Es ist eine ganz andere Bardame dort als vor 14 Jahren, stelle ich fest, aber die gleichen Gäste, die sie abschleppen wollen. Sie nimmt den mit dem meisten Umsatz.
Morgens um 3 dann wieder ins Donisl, ein Tisch nah an der Toilette, denn es ist eine von den bayerischen Kneipen, wo schneller gepinkelt als getrunken wird.
Wir bestellen Weißwurst weil alle Weißwurst bestellen. Wohin wir auch schauen: nur Touristen.
Das war Bayern.